Philippe Djian, Sirenen

Buch-Cover

Ein guter Polizist hat ständig etwas laufen, wie man so sagt. Wenn es sich um einen ganz guten Polizisten handelt, laufen immer nur Fälle im Hintergrund, die dieser dann zur Errettung seiner inneren Unruhe löst.

Bei nicht ganz so guten Polizisten laufen ständig erotische Sachen ab, die den Kriminalfall aber durchaus beschleunigen können.

Nathan ist ein Polizist der erotischen Sorte, obwohl manche Partnerinnen alles eher als Erotik auslösen. Seine Dienst-Sexpartnerin Marie-Jo beispielsweise ist so was von fett, dass es erst auf dem zweiten Hieb mit der Erotik klappt. Aktuell ist Nathan in drei permanente sexuelle Werkbänke eingespannt, oft nämlich entscheiden die Frauen über ihn wie über ein Werkstück, um ihn ordentlich zu polieren. Umgekehrt gibt auch er während der Recherchen ständig sexuelles Futter, wenn in der einen oder anderen Sache nichts weitergeht.

Momentan gilt es den Fall der ermordeten Laufschuh-Päpstin zu klären. Der Tochter eines gigantischen Turnpatschenfabrikanten ist das Gesicht eingetreten worden, so dass sie erst auf den zweiten Blick identifiziert werden kann. Langsam kommt der Fall ins Rollen, während Nathan gerade mit seiner Frau eine Krise ausdiskutiert und seine Freunde über die sexuellen Qualitäten verschiedener Menschen ihr Urteil abgeben. So vögelt beispielsweise jemand wie eine lahme Ente, was eine ziemlich genaue Beschreibung dessen ist, was man sich als Leser drunter vorstellt. (53)

Mitten in den sexuellen Analysen rennen zwei diskutierende Polizisten im Stile einer Verfolgungsjagd dem Ehemann der Ermordeten nach, weil sich dieser nicht standesgemäß ausgewiesen hat. Eigentlich ist es ein Fitnesslauf, an dessen Ende eine kurze Überprüfung der Papiere steht. Nichts ist im rechten Lot, alles geschieht reichlich übertrieben oder untertrieben.

Der Mord könnte auch politische Hintergründe haben, schließlich haben Globalisierungsgegner den Schuhfabrikanten auf der Abschussliste.

All diese Globalisierungsgegner waren sexbesessen, ich war nicht blind. Um die perversen Auswirkungen des Kapitalismus zu bekämpfen, brauchte man massenweise Energie. (101)

Langsam wird das Sittenbild komplett, Unruhe, Globalisierung, Modegeschöpfe und die elendslange Einsamkeit zwischen den Körpern.

Was äußerlich wie ein Krimi abläuft, ist in der psychischen Tiefe das schwere Zucken von Menschen, denen das Glück immer seifiger aus den Händen flutscht. Die sexuellen Gespräche und Aktionen sind schließlich im gleichen Ton und Gestus vorgetragen wie die Aufklärungsrituale bei einem schweren Kriminalfall.

Ab und zu erzählt Nathan ein Kapitel aus seiner mickrigen Männersicht und dann wieder die Polizistin Marie-Jo, wie sie in einem ungeheuer schweren Körper steckt, der sich nur schwer zähmen lässt. Es ist wirklich melancholisch, schwer, geil und komisch, was diese Polizisten durchmachen müssen. Oft hat man den Eindruck, sie spielen guter / schlechter Polizist miteinander und wissen nicht, wer was ist.

Philippe Djians Sirenen sind ein humorvoller Ausfluss schwerer Schicksale. Die Sirenen heulen Tag und Nacht durchs Berufsleben, und kaum sind die Helden privat, wechselt das Genre und die Sirenen heulen wie jene auf Odysseus? Irrfahrten. Ein reifer Roman, bei dem Sex und Crime nie müde machen, auch wenn sie auf jeder Seite neu betrieben werden.

Philippe Djian, Sirenen. Roman. A. d. Französ. von Uli Wittmann.
Zürich: Diogenes 2003. 440 Seiten. 22,90. ISBN 3-257-06374-1.

 

Helmuth Schönauer 17-06-2004

Bibliographie

AutorIn

Philippe Djian

Buchtitel

Sirenen

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2003

Verlag

Diogenes

Übersetzung

Uli Wittmann

Seitenzahl

440

ISBN

3-257-06374-1

Kurzbiographie AutorIn

Philippe Djian, geb. 1949 in Paris lebt zur Zeit wieder in Paris.