Max Wolf, Glücksreaktor

max wolf, glücksreaktorObwohl wir alle wissen, dass es ein angelesener Rausch nie mit einem echten aufnehmen kann, lassen wir Lese-Profis uns immer wieder auf einen virtuellen Rausch ein. Man wird jung dabei, hat einen ordentlichen Fetzen und kann daraus ohne Kater oder sonstige Schäden erwachen. Ein Second-Hand-Rausch ist gerade für Senioren ideal.

Max Wolf wirft seinen „Glücksreaktor“ freilich am anderen Ende einer Seniorenbiographie an. Der siebzehnjährige Fred erwacht eines Tages in Faitach, einem Vorort von Erlangen, auf einer Ameisenstraße. Er ist Schüler an einem Oberstufengymnasium und kriegt am ehesten noch etwas von Physik mit. Der dritte Hauptsatz der Thermodynamik hat schon was für sich, weil er schnurstracks in die Entropie führt.

Fred ist auf dem Weg zur Schule völlig zerschlagen, als er sich die thermisch sauber herausgeputzte Siedlung zu Gemüte führt, in der wie auf einer Ameisenstraße die Menschen grußlos ihre Duft-markierten Wege abgehen. Die meisten arbeiten während der Woche bei Siemens und schauen am Sonntag im Fernseher, wie Senna Schumacher überholt.

Ich werde keine Ameise. Ich will sprudeln. (11)

Angeekelt von diesem Ameisenbild zieht Fred von zu Hause aus und nimmt sich in der Stadt ein Zimmer, wo bald einmal neue Freunde auftreten, die jeweils eine besondere Note von Drogenmissbrauch ins Spiel bringen. Jetzt schleppt man sich an den Wochentagen zur Schule, um sich an den Wochenenden auf das Disco-Boot zu rappeln, wo Rave angesagt ist.

Unsere ersten Wochen als Raver haben etwas Magisches. (11)

Bald einmal merkt Fred, dass sich das Erlebte nicht in Worten darstellen lässt. Auch eine Track-Liste mit den imposanten Rave-Einheiten, lässt nur vage einen Eindruck aufkommen, was im Körper eines Ravers passiert, wenn er unter Strom steht. „Man bräuchte einen Controller, um die Geschwindigkeit des Lebens installieren zu können.“

Dieser Wunsch nach Kontrolle verschwindet bald, als sich die Rave-Phase von einem Wochenende quer durch die Schultage bis ans nächste Wochenende verlängert. Diese Dauerbelastung lässt sich ohne Drogen nicht bewältigen. Dazu kommt, dass auch Sex nur aufgeputscht einen Sinn macht, denn sonst würde er ja vom ewigen Rave in die Ecke gestellt und niedergepusht werden.

Für einen guten Rave muss der DJ schon mal in die Rolle eines Stieres schlüpfen, um animalisch auflegen zu können.

Der Beat verlässt meinen Körper nicht mehr. (118)
Ich oszilliere zwischen einer cremig-goldenen Ekstase und einem hellblau-plüschigen Ladezustand. (120)

Die Kollegen von früher treten immer mehr in den Hintergrund und verblassen zu Schablonen. Es scheint, dass der Ameisenfilm gerissen ist. Als man Kollegen Tripster abholt und in die Klapse steckt, braucht es eine Weile, bis Fred die Zusammenhänge kapiert. Er rennt noch einmal durch seinen Heimatort Faitach und versucht, die Ameisenbewohner zu treffen. Aber der Film knurrt in einer Endlosschleife. Das Letzte, was Fred sieht, ist der Rucksack von Tripster, aber er hat keine Ahnung, wo dieser steht.

Mit der offenen Klapsmühlen-Perspektive geht dieser Rave-Traum zu Ende. Der Glücksreaktor ist wohl implodiert.

Max Wolf, Glücksreaktor. Roman
Hamburg: Tempo Verlag 2018, 253 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-455-00439-7

 

Weiterführender Link:
Tempo Verlag: Max Wolf, Glücksreaktor
Homepage: Max Wolf

 

Helmuth Schönauer, 24-10-2018

Bibliographie

AutorIn

Max Wolf

Buchtitel

Glücksreaktor

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Tempo Verlag

Seitenzahl

253

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-455-00439-7

Kurzbiographie AutorIn

Max Wolf, geb. 1976 in der Schweiz, lebt in Berlin.