Elke Steiner, Über das Licht gedreht

elke steiner, über das licht gedrehtDie schaurige Geschichte vom Erlkönig, der mit seinem toten Kind durch den eigenen Wahnsinn reitet, lässt sich auch psychologisch deuten. Da identifiziert sich ein Held so heftig mit der Rolle, dass er die Geschichte mit toten Bruchstücken zu Ende bringt, auch wenn die Story schon tot geritten ist.

Elke Steiner zeigt in ihrem Roman „Über das Licht gedreht“ eine Heldin, die mit dem Verlust ihrer frühgeborenen Tochter nicht zurecht kommt und durchdreht. Gleich zu Beginn steigt Hanna spät in der Nacht in einem Hotel ab, sie ist von der Anfahrt verwirrt. Nach dem Einchecken merkt sie, dass sie ihre Tochter Emmelyn (mit Ypsilon) im Auto vergessen hat. Das Personal wundert sich noch, wie man so ein Kind vergessen kann, aber die Müdigkeit scheint auch verrücktes Verhalten erklärbar zu machen.

Hanna ist tatsächlich müde, ausgebrannt und in eigenen dimensionslosen Zustand verfallen. In monatlichen Rückblenden zwischen ihr und ihrem Mann Bruno wird ein scheinbar erfolgreiches Leben aufgerollt, bei dem sich Innenleben und äußerer Habitus ständig voneinander entfernen.

Was ist eigentlich ein erfolgreiches Leben? Dazu gehören sicher das Aufräumen der Kindheit, der leicht ironische Umgang mit den Verwandten, jeden Tag Fun mit Bekannten und eine ausgewogene Work-Life-Balance. Das Ehepaar kriegt dieses Leben scheinbar easy hin, es weiß immer, was zu tun ist, und prägt die Szene, indem es alles mitmacht, was für ein offen zur Schau gestelltes Leben notwendig ist.

So ist es eines Tages notwendig, ein Kind zu haben, zumal Bruno gerade die Kindheit ausräumt und als Immobilienmakler ein Antiquariat zurückkauft, das ihm seinerzeit bei der Aufteilung des Familienvermögens vorenthalten worden ist.

Das heranwachsende Kind wird schon während der Schwangerschaft innigst begutachtet und betreut. Nach einem frühen Bild aus dem Ultraschall sieht die Mutter bereits, dass es ein Mädchen wird und goldene Haare hat. Wenn das Bild richtig über das Licht gedreht ist, ist es perfekt. (93)

Doch dann läuft das Leben anders ab, als es in den Hochglanzmagazinen und Lebens-Apps vorgesehen ist. Es kommt zu einer Frühgeburt und Emmelyn wird in einen Brutkasten gesteckt. Was für ein grausames Wort, das man aktuell nicht mehr verwenden darf. (171) Und die Kleine schafft es nicht, sie stirbt vor den Augen der derangierten Mutter. Hanna bastelt sich zu Hause eine neue Emmelyn, ein Mittelding zwischen Salzteig-Skulptur und Gugelhupf. Gut eingewickelt ist das Baby nicht mehr von einem echten zu unterscheiden. Man kann sogar über Land fahren damit und es fallweise im Auto liegen lassen, bis die Lage im Hotel geklärt ist.

Elke Steiners Roman geht unter die glatte Haut, die üblicherweise für die Gesellschaft ins rechte Licht gedreht wird. Zwischen den offiziellen Ritualen und dem Knarren der inneren Scharniere klafft es oft meilenweit auseinander. Und gerade die innigste Umgebung ist in solchen Fällen meist eine unzuverlässige Hilfe. Das gesellschaftliche Getue spiegelt sich nämlich als Familiengetue. Alles ist Schein, alles wird so lange gedreht, bis es passt. Das Ende ist der Kollaps.

Elke Steiner, Über das Licht gedreht. Roman
Graz: Edition Keiper 2018, 226 Seiten, 22,50 €, ISBN 978-3-903144-63-7

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Elke Steiner, Über das Licht gedreht
Homepage: Elke Steiner

 

Helmuth Schönauer, 26-11-2018

Bibliographie

AutorIn

Elke Steiner

Buchtitel

Über das Licht gedreht

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

226

Preis in EUR

22,50

ISBN

978-3-903144-63-7

Kurzbiographie AutorIn

Elke Steiner, geb. 1969, lebt im Burgenland.