Alexandra Bernhardt, Hinterwelt oder Aus einem Spiegelkabinett

alexandra bernhardt, Hinterwelt oder Aus einem SpiegelkabinettIn einer Zeit, wo Bücher hauptsächlich über die Krimi-Schütte verkauft werden und entweder ein gedruckter Tatort oder Landkrimi sind, gerät die Kunst eines komponierten Buches zunehmend in Vergessenheit. Dabei ist nicht nur das haptische Empfinden als Information gemeint, auch Layout und Komposition sind in diesen guten standhaften Büchern noch eine wesentliche Bereicherung des Lesegenusses.

Alexandra Bernhardt präsentiert in ihrer „Hinterwelt“ vordergründig zehn Erzählungen, die einen zweifachen Zugang verheißen. Einmal könnte es sich um Ereignisse aus der Hinterwelt handeln, wie sie in entlegenen Geographien und Hirnen nur mehr selten vorkommt, zum anderen sind es natürlich Meta-Geschichten, die etwas dahinter erzählen, was vorne kunstvoll inszeniert worden ist.

Die erste große Erzählung besteht freilich in der Verschränkung der zehn Teile, die wie Gesetzestafeln mit römischem Zählwerk durchgezählt sind und ein logisches Ganzes ergeben. Die einzelnen Geschichten sind mit doppelten Zwischenblättern voneinander abgesichert, wie man in alten Fotolaben immer Zwischenpapier einlegt, damit die einzelnen Fotos nicht ineinander fließen, wenn sie sich auflösen. Man könnte diese Episoden auch als Pralinen bezeichnen, die gut eingewickelt zuerst entkleidet werden müssen, ehe man sich ihnen als purem Text nähern darf.

Die Erzählungen tragen jeweils wuchtige Zitate von elementaren Dichtern voran. Ödön von Horvath, Edgar Allan Poe, T.E. Lawrence, E.T.A. Hoffmann oder Shakespeare sind Schirmherrn der Erzählung und erste Wegweiser, wie der Text gelesen werden könnte.

Die Erzählungen sind sorgfältig vom Alltag gesäubert Petitessen, die ein ganzes Leben oder eine Epoche mit einer leisen Handbewegung beschreiben. Mustergültig in dieser Hinsicht ist die Episode vom Anschluss, worin eine altdeutsche Familie auf der fast leeren Führerautobahn nach Knittelfeld fährt, um Verwandte zu treffen, die jetzt ebenfalls zum Reich gehören. Der Weg ist frisch geschmückt, nur am Zielpunkt selbst will keine rechte Freude aufkommen, die sind dort offensichtlich nicht restlos begeistert. Ein läppischer Kalauer besiegelt dann die Entfremdung mit der neuen Zeit. Fährt ihr heim? - Ja heim ins Reich. (23)

Eine sogenannte Kriminalreportage legt Wert auf das Inventar und die handelnden Personen, die einen Fall erst rätselhaft machen. Hier geht es nicht um Opfer und Täter sondern um Inszenierung, wie in der Literatur ja immer alles inszeniert und nie abgebildet wird. Ein Todesfall wird in mehrere Schichten zerlegt, Aufzeichnungen, Hinterlassenschaften und Fall-Material der Forensik werden aneinandergelegt und ergeben kein schlüssiges Ergebnis. Jemand ist wahrscheinlich bei der Inszenierung gestört worden, nicht beim Mord. Einzig verlässliche Zeugin ist eine Katze, die aber wie bei Schrödingers Katze nichts verrät, solange sie nicht hingerichtet worden ist.

Hinter dem reißerischen Titel „Der Anschlag“ verbirgt sich im Lichte des Spiegelkabinetts ein Germanist, der ausgestiegen ist und bei einer berberischen Schönheit landet, die ihm die Augen für die Kultur Arabiens öffnet.

Eine Erbschaft kann sehr wohl dem Erblasser schlaflose Nächte bereiten, wenn er nicht den richtigen Dreh heraus kriegt. „Den Tod vor Augen“ bemüht sich Adam im Briefverkehr mit seinem Cousin, das Leben abzuschließen und alles zu ordnen. Aber die Operation erweist sich als großes Risiko, die Krankengeschichte implodiert.

Gebe Gott, es habe kein Tod mich leben gemacht. (77)

„Das Vogelbauer“ erzählt von einem gestörten Supermarktangestellten, der nur einmal kurz fehlt, als er ein wichtiges Date vorgibt. In Wirklichkeit bestattet er wohl seine Mutter und stopft sie in einem Vogelbauer aus. Äußerlich läuft das Leben wie gewohnt weiter, am Vogelbauer entwickelt sich wahrscheinlich eine Stimmung wie bei Psycho. Aber die Ausstopfung gilt in der Literatur als die innigste Form, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, man denke nur an Georg Saikos Ausstopfung von ganz Österreich.

Alexandra Bernhardt erzählt die jeweilige Inszenierung mit. Ihre Erzählungen sind Kompositionen, die der Leser in Eigenregie zu Ende hören muss. Die Hinterwelt könnte auch die gesamte Literaturgeschichte sein, die uns bei jedem Satz begleitet, weil jeder Satz schon einmal vorgekommen ist, allerdings zu anderer Zeit und in anderem Zusammenhang. Die Erzählungen aus dem Spiegelkabinett sind eine Art Fleisch gewordene Inszenierung eines Gerichtes, das aus verschiedenen Literaturstücken zusammengetragen ist. - Sehr ambitioniert und wohltuend anstrengend!

Alexandra Bernhardt, Hinterwelt oder Aus einem Spiegelkabinett. Erzählungen
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2018, 154 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-31-5

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Alexandra Bernhardt, Hinterwelt oder Aus einem Spiegelkabinett
Literaturhaus Wien: : Alexandra Bernhardt

 

Helmuth Schönauer, 22-12-2018

Bibliographie

AutorIn

Alexandra Bernhardt

Buchtitel

Hinterwelt oder Aus einem Spiegelkabinett

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

154

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-31-5

Kurzbiographie AutorIn

Alexandra Bernhard, geb. 1974 in Bayern, lebt in Wien.