Gerhard Henschel, Soko Fußballfieber

gerhard henschel, fussballfieberEin Literatur-Genre ist für den Leser nur zweimal interessant: einmal, wenn es erfunden wird, und ein andermal, wenn es beendet wird. Dazwischen liegt Massenware, die der kluge Leser beiseite lässt, um das Leben nicht mit finsteren Wetterlagen im Kopf zu belasten.

Gerhard Henschel hat sich ein verrückt gutes Konzept für seine Romane zurechtgelegt. Er beendet einfach die jeweiligen Genres, indem er sie ad absurdum und somit zur Vollendung führt. Nach ihm gibt es keinen Arbeiter-, Liebes- oder Bildungsroman mehr, er sprengt sie alle mit ihrem eigenen Erzählstoff. Jeder Genre-Roman implodiert, wenn man ihm die Vorlage nimmt. Mit der Fließbandtheorie könnte man sagen, die Fließbandarbeit ist zu Ende, wenn das Fließband abgebaut ist.

Mit dem finalen Fußball-Krimi „Soko Fußballfieber“ bringt der Autor endlich diese Serie unsäglicher Krimis hinter sich, indem er das Schreib-Fließband abstellt, nicht ohne es zuvor noch mit allem zu befrachten, was je als Plot, Hirngespinst, Fake oder Fußballnachricht gesendet oder geschrieben worden ist.

Die Übertreibung hat es so an sich, dass sie kein Ende kennt, weil sie die Haupteigenschaft der Globalisierung ist. Darin gleicht sie dem Wirtschaftswachstum, für das wir alle abhängig gemacht worden sind. Mehr Konsum, mehr Glück, mehr Lebenszeit – die Übertreibung ist die wahre Triebfeder der Gegenwart.

Im Übertreibungsroman „Soko Fussballfieber“ wird jeder Ort der Welt, an dem jemand mit einem Kopf in der Kugelform eines Fußballs auftritt, zum Schauplatz einer neuen Seuche. Der Fußball ist mutiert und hat die Regie über die Welt übernommen. Ständig finden Turniere statt, Stadien entwachsen der Wüste, die regionalen Lebensformen sind zusammengestutzt auf die klassischen Fußballspielregeln, wobei vor allem die eine zum Tragen kommt, dass der Ball rund ist.

Schon nach wenigen Seiten ahnt man als Leser, dass es in diesem Roman keine andere Logik gibt, als dass alles ein Krimi sein kann, der die Kugel rollen lässt. Der Reihe nach werden an allen Orten der Welt Fußballfunktionäre umgebracht. Nach außen hin wirkt es wie Hinrichtungen im Mafia-Milieu, aber die Zufälligkeit, mit der die Todesfälle ausbrechen, drängt zur Vermutung, dass hier ein seltsames Fieber im Spiel ist.

Da dieses Fieber durch Schmierinfektion bei Geschäften übertragen werden kann, ist niemand davor gefeit, und es gibt auch keine Impfung dagegen.

Der Roman handelt von den permanenten Ablenk-, Schmier- und Vertuschungsmanövern, die in allen Zeitzonen streng getaktet unter dem Geschäftsbegriff Fußball ablaufen. Um das Chaos zumindest von der Ferne beobachten zu können, sind drei vage Stränge aufgemacht. Auf einem klassischen Ermittler-Trip reisen Hauptkommissar Gerold Gerold und Oberkommissarin Ute Fischer vergeblich ihren Fällen nach. Sie sind mit dem Pouvoir von Regionalbeamten ausgestattet und heillos überfordert. Kaum sind sie in Athen, wo ein Fußballfunktionär umgelegt worden ist, kommt es schon zu Todesfällen in Südkorea und Argentinien. So viele Reisediäten gibt es gar nicht, dass man diese Fälle alle abarbeiten könnte. Berühmt geworden sind die beiden übrigens durch die virtuelle Jagd von fiktionalen Serienmördern in Regionalkrimis. Bei dieser Gelegenheit ist ihnen auch jeder Sinn für die Realität abhanden gekommen, so dass sie jetzt überall dort eingesetzt werden, wo alles unverständlich ist.

Auf einem zweiten Track arbeitet sich der Regionaldichter Thomas Gsella durch die Wüsten Saudi-Arabiens, er hat zu viel Karl May gelesen und ist jetzt erstaunt, dass erfundene Reisegeschichten lebensbedrohlich werden, wenn sie auf die Wirklichkeit treffen. Auf einem Kamelmarkt wird er als Rarität angeboten, aber niemand kauft ihn, weil ein Dichter zu nichts zu verwenden ist. Im Untergrund der Glitzerwelt von Fußball-Scheichs gibt man ihm eine Art Gnadenbrot, weil er immerhin den Traum nie aus den Augen verloren hat, dass Rotweiß-Essen doch noch aufsteigen könnte.

Am dritten Erzähl-Ast sind schließlich Beckenbauer und Hoeneß unterwegs, sie sind völlig übergeschnappt und dealen mit Stadien, WM-Ausrichtungen und Spielertransfers. Ihre Währung ist die Erinnerung an goldene Fußballzeiten, als sie offensichtlich noch den Ball getroffen haben, während sie jetzt in Lounges herumlungern und die Zeit totschlagen. Hier kommt auch im Stile eines falschen Einwurfs der sagenhafte Beckenbauer-Satz zur Geltung, wonach er in Katar keinen einzigen Sklaven beim Errichten von Fußballstadien gesehen habe.

Im Volksmund gilt ja der Spruch, dass im Fußball jeder die Wahrheit kennt und ein Fachmann ist. Im Überregionalkrimi treten prinzipiell nur Fachleute auf, die das Wissen um die runde Kugel schonungslos auf alle Ereignisse aus dem Trash-Teil einer Zeitung ausweiten.

Allmählich kriegt der Filz aus Verbrechen und Scheingeschäften Hand und Fuß. Wo immer eine Wahl gefälscht, eine Drohne abgeschossen, ein Dissident massakriert wird, immer führt die Spur hinein ins Fußballgeschäft. Seit nämlich Börsen schwanken, auf Gold kein Verlass mehr ist, und das Carbon-Zeitalter dem Ende entgegenwankt, ist das Fußballgeschäft das Einzige, was den Gangstern dieser Welt noch geblieben ist. Die wahren Super-Vereine sind deshalb längst in der Hand von Oligarchen, die sich zu Tarnungszwecken auch noch Emirate und Oblaste halten. Wenn das Spiel am Rasen angepfiffen wird, sind die großen Geschäfte schon erledigt, und es ist egal, welcher Spielstand herauskommt.

Die Protagonisten dieses Überregionalkrimis sind auf allen Ebenen überfordert, weil schon längst gekauft. Die Kommissare, weil sie von ihrer Pension abhängen, die Dichter, weil sich ihre Krimis schon verselbständigt haben und ohne sie eigene Wege gehen, und die Altstars der goldenen Zeit, die schon längst von Geld gelähmt und Erinnerung gebrochen in der Körperhaltung von Schlaganfallpatienten dem Treiben zusehen.

Gerhard Henschel hat wieder weit ausgeholt, um das Fußballfieber mit dem Gestus einer Pandemie zu beschreiben.

Gerhard Henschel, Soko Fußballfieber. Ein Überregionalkrimi
Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2021, 303 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-455-01062-6

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe Verlag: Gerhard Henschel, Soko Fußballfieber
Wikipedia: Gerhard Henschel

 

Helmuth Schönauer, 15-05-2021

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Henschel

Buchtitel

Soko Fußballfieber. Ein Überregionalkrimi

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Hoffmann & Campe Verlag

Seitenzahl

303

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-455-01062-6

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Henschel, geb. 1962 in Hannover, lebt in der Nähe von Berlin.