Erstleseunterricht

Erstleseunterricht.PNGErfolgreicher Erstleseunterricht konzentriert sich auf den Erwerb der Lesetechnik – die Sinnentnahme aus Texten steht dabei im Hintergrund. Bei einem Teil der Schülerinnen und Schüler ist dies nicht am Ende der ersten Klasse abgeschlossen, es gilt im Rahmen personalisierter Lernangebote den Kindern ausreichend Zeit zu lassen, da diese Basiskompetenzen in Bezug auf das Lesen eine entscheidende Grundlage für einen langfristigen Schulerfolg in allen Fächern darstellen.

Allgemein sind pädagogische Diagnosemaßnahmen, die auf das einzelne Kind abgestimmt sind, beim Leselernen von großer Bedeutung. Dass es dafür einen geschulten Blick der Lehrperson benötigt, zeigen schon Schmidt und Schabmann (2010). Fünf von Sechs Schülerinnen und Schüler, die am Ende der 1. Klasse zu den 15 % der schwächsten Leserinnen und Lesern gehörten, wurden von den Lehrerinnen und Lehrern im Dezember/Jänner der 1. Klasse als gute bzw. eher gute Leserinnen und Leser eingestuft, nur bei 11 % wurden leichte, bei 3 % schwerwiegendere Probleme beim Lesen festgestellt. Häufig herrscht die Fehlmeinung vor, dass Schwierigkeiten beim Lesen „von selbst vorbeigehen“ würden.

Lesenlernen verlangt grundlegende didaktische Überlegungen seitens der Lehrpersonen, die wie folgt beschrieben werden können.

Natürlich gilt die Methodenfreiheit im Unterricht, gleichzeitig ist es unerlässlich, sich an aktuellen wissenschaftlichen Studien zu orientieren. Diese zeigen, dass eine relevante Komponente des Erstleseunterrichts die systematische Einübung der Buchstabe-Laut-Beziehungen ist (Schabmann et al., 2009).

Ein ganzheitlich orientierter Erstleseunterricht, bei dem Buchstaben kaum gesondert eingeübt werden und bei dem Schülerinnen und Schüler von Beginn an ganze Wörter lernen sollen, ist recht selten geworden, dennoch existieren Mischformen (Klicpera et al., 2014). Schwache Leserinnen und Leser stellt ein ganzheitlich orientierter Erstleseunterricht lange Zeit vor große Herausforderungen. Auch Kinder, denen es leichtfällt, Wörter ganzheitlich abzuspeichern, sehen oft keine Notwendigkeit, diese Strategie (lexikalisches Lesen) zu Gunsten des mühsamen „Laut für Laut Erlesens“ aufzugeben.

Da die deutsche Sprache eine relativ hohe Regelmäßigkeit in den Buchstaben-Laut-Zuordnungen aufweist, kommt die alphabethische Strategie als Schlüsselstrategie beim Lesen lernen Schülerinnen und Schülern entgegen. Kompetente Leserinnen und Leser benötigen einerseits den Zugriff auf das sogenannte „mentale Lexikon“, in dem Wörter ganzheitlich abgespeichert sind, andererseits muss auch die Fertigkeit des synthetischen Lesens (zeigt sich durch die Fähigkeit, Pseudowörter erlesen zu könne) abgesichert sein, da ausschließlich damit neue unbekannte Wörter erlesen werden können. (Klicpera et al., 2014)

Im Lehrplan der Volksschule, Siebenter Teil (2003) wird dies wie folgt dargelegt „Erfassen der Laut-Buchstaben-Zuordnung in ihren verschiedenen Varianten und Qualitäten; Beherrschen der Buchstaben: In vielseitigen Übungen jedem Buchstaben den ihm entsprechenden Laut zuordnen und artikulieren (…) Aufbauendes Zusammenlesen: (…) Nonsenswörter aufbauen und lesen (…)“.

Eine der zentralen Vorläuferfertigkeiten für den Schriftspracherwerb ist die phonologische Bewusstheit, welche die Einsicht in die Lautstruktur beschreibt. Sowohl aus wissenschaftlicher Sicht als auch von Unterrichtspraktikerinnen und Praktikern werden vielfältige Übungen dazu, begleitend zum Erstleseunterricht, empfohlen. Beginnend bei der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn (Silben, Reime) bis hin zum Erkennen von Einzellauten in Wörtern, Positionsbestimmungen von Lauten oder Auf- und Abbauübungen von Wörtern (phonologische Bewusstheit im engeren Sinn). Wichtig ist, dass diese Übungen immer eng an regelmäßige lernstandangepasste Leseübungen geknüpft sind.

Für Schülerinnen und Schüler, denen der Erwerb der Buchstaben-Laut-Zuordnungen nicht ohne Hürden gelingt, ist der Einsatz von Lautgebärden hilfreich. Eine multisensorische Absicherung dient hier als gute Gedächtnisstütze.

Bei der Geschwindigkeit, mit der Buchstaben neu eingeführt werden zeigen sich je nach Methode  und Fibel große Unterschiede. Durch ein langsames Vorgehen werden Schülerinnen und Schüler, denen das Lesenlernen nicht so leicht fällt und die ohne Vorerfahrungen dazu in die Schule starten, nicht überfordert. Das frühe Einführen mehrerer Buchstaben ermöglicht andererseits, dass begabte Leserinnen und Leser schon bald Leseerfolgserlebnisse haben, womit die Lesemotivation gefördert wird. Schabmann (2007) zeigt in einer Untersuchung an Wiener Schülerinnen und Schülern, dass sowohl zu langsames als auch zu schnelles Vorgehen eher hinderlich sind. Prinzipiell muss ein Erstleseunterricht einer großen Vielfalt an Leseleistungen gerecht werden und sowohl besonders schwache Kinder ausreichend unterstützen als auch für Kinder mit sehr gut entwickelten Leseleistungen Übungen anbieten.

Tanja Unterweger

 

Literatur:

 

Klicpera, C., Schabmann, A. & Gasteiger-Klicpera, B. (2013). Legasthenie – LRS (4. aktualisierte Aufl.). München: Reinhardt.

 

Schabmann, A. (2007). Erstleseunterricht und Lese-Rechtschreibleistungen – Ergebnisse einer Wiener Längsschnittuntersuchung. In G. Schulte-Körne (Hrsg.), Legasthenie und Dyskalkulie in Wissenschaft, Schule und Gesellschaf (S. 59-70). Bochum: Winkler.

 

Schabmann, A., Schmidt, B. M., Klicpera, C., Gasteiger-Klicpera, B. & Klingebiel, K. (2009). Does systematic reading instruction impede prediction of reading a shallow orthography? Phychological Science Quarterly, 51, 315-338.

 

Schmidt, B. M. & Schabmann, A. (2010) „Es ist vorübergehend!“ Lehrereinschätzungen über mögliche Lese-Rechtschreibprobleme. Eine klassifikatorische Analyse. Heilpädagogische Forschung, 36, 106-115.

 

Lehrplan der Volksschule, Siebenter Teil, Bildungs- und Lehraufgaben sowie Lehrstoff und didaktische Grundsätze der Pflichtgegenstände der Grundschule und der Volksschuloberstufe, Grundschule – Deutsch, Lesen, Schreiben, Stand: Juni 2003. VS7T_Deutsch_3994 (1).pdf

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