Wolfgang Pollanz (Hg.), Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

wolfgang pollanz, der mann, der sich weigerte, die badewanne zu verlassenDas Genre „Minidrama“ wird oft den Beatniks zugeschrieben, weil diese sich längst am Rand großer Dramen ansiedelt haben. Wenn die Mittel so beschränkt sind, dass es nicht einmal für Bühne, Kulisse, Vorhang – geschweige denn für einen Souffleurkasten – reicht, dann bleibt als letzter Ausweg nur das Minidrama. Darin ist die Autorenschaft des prekären literarischen Lebens bestens geschult. Jeder, der am Rand der Event-Kultur lebt, hat zumindest ein Minidrama in der Tasche, mit dem sich Zutritt in die Theaterwelt des Alltags verschaffen lässt.

Die Kulturinitiative „Kürbis“ hat unter diesem Gesichtspunkt einen kleinen Wettbewerb ausgelobt, mindestens 160 Mini-Dramatikerinnen haben sich ansprechen lassen, die Jury (Daniela Strigl, Karin Wozonig, Peter Faßhuber) hat zehn davon für ein „Wies-Festival“ in Wies in der Steiermark ausgesucht. Fünfzehn Stücke sind in einem Sammelband dokumentiert.

Wer an Minidramen denkt, sollte kurz an Wolfi Bauer und seine Mikrodramen denken. Nirgendwo ist die Seelenspeise aus Groteske, Witz und Verzweiflung so eng verrührt wie in diesen Kleinst-Stücken, worin mit einem minimalen Aufwand an Personal so große Themen wie Liebe, Tod und Untergang angesprochen werden. Das ist die Absicht von Mini- und Mikrodramen: große Themen mit minimalem Gestus zurechtzustutzen!

Den Stücken ist gemein, dass sie im knappen Dialog eine Sache erörtern, die eigentlich fürs Monologisieren gedacht ist. Somit ist immer eine Person überflüssig, während die andere auftritt. Die Szenerie gleicht einem missglückten Ehepaar, bei dem immer beide zu viel sind und nicht wissen warum.

„Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen“ (Peter Zemla): Der Mann liegt schon seit Tagen in der Badewanne und weigert sich, wieder ins Leben zurückzukehren. Seine Frau sitzt am Wannenrand und manikürt sich die Flossen, sie hat ihre Metamorphose schon hinter sich und zeigt im Aqua-Dress, wohin es führt, wenn man aus dem Wasser steigt. Für Fans der Tiefenpsychologie zeigt sich kurz das Motiv des Froschkönigs, der sich selbst eine Triggerwarnung zukommen lässt.

„Der Regenschirm“ (Carsten Brandau): Während eines Platzregens entsteht Streit um die Sinnhaftigkeit und den Wert besonderer Dinge zu besonderen Zeiten. In diesem Fall wird der Regenschirm Anlass für eine Wertediskussion. Darf man sich unterstellen, wenn man den aufgespannten Schirm letztlich verachtet?

„Am Buffet“ (Alexander Estis): Ein sogenanntes Sektflötenquartett spielt sich am Buffet eingeübte Sätze vor. Dabei entgleisen die Sätze oder geben Hörfehler wieder. „Ich bin gegen die Anreicherung von Iran“, sagt ein profunder Kenner der internationalen Politik. Eine Frau wendet sich angewidert ab. „Ich bin damals aus dem Kosovo geflohen, und jetzt muss ich vor Ihnen fliehen!“

„Bald am Meer“ (Stephan Dorn): Eine häufige Klage bei Strandurlauben ist das falsche Versprechen, dass die Unterkunft am Meer liege. Wiedereinmal ist ein Paar im Landesinneren untergebracht, statt mit Blick auf den Strand. Aber es hat inzwischen rechnen gelernt. Wenn das Meer ohnehin wegen des Klimawandels steigt, kann man sich schon jetzt ausrechnen, wann die Ferienunterkunft endlich am Meer liegen wird.

„Auf der Schräge“ (Martin A. Völker): Ein Nichtleser bittet eine Buchhändlerin um Rat, mit welchem Buch er seine ins Auge gefasste Bekannte zur Freundin machen könnte. Da er nicht weiß, was sie liest, kann er auch nicht abschätzen, womit ihr er imponieren könnte. Nach dem Fachgespräch mit der Buchhändlerin entscheidet er sich für ein Porträt eines Eishockey-Spielers ohne Zähne.

„Voll“ (Markus Köhle): Mo und Pe lassen sich in einem Lokal nieder und versuchen, dem Bestellroboter eine Order aufs digitale Auge zu drücken. Dieser reagiert mit Vibrieren und Leuchten auf alle Wörter, die ihm die beiden eingeben. Aus der Bestellung wird letztlich nichts, denn der Roboter hat die Eingaben sofort an die Duden-Redaktion übermittelt, die den beiden ein Angebot zur Weiterentwicklung digitaler Rechtschreibung macht.

„Über den Anteil der Frauen an der Dichtkunst Bertold Brechts“ (Katharina Riese): Der Witz vom Jenseits macht auch vor der Literaturgeschichte nicht Halt. Bert Brecht stampft in bewährter Macho-Manier im Jenseits herum und muss sich vorwerfen lassen, dass seine Stücke letztlich menschenverachtend sind, weil er sie in frauenfeindlichem Modus geschrieben hat.

„Die Ampel“ (Irene Diwiak): Ehemalige Models treffen im Alter wieder aufeinander und erinnern sich an ein Casting unter einer Ampel. Was sie damals für Dekoration gehalten haben, ist der simple Vorgang bei der Auswahl einer Jury: wer rot hat, bleibt stehen, wer grün kriegt, kann gehen. Man kann den Farbwechsel freilich beschleunigen, wenn man sich etwas frei macht am Körper. Wer noch mehr Nacktes liefert, bei dem kann es ganz schnell gehen mit der Karriere. Andererseits ist immer ein Suizid drin, wenn die Ampel ungünstig steht. Aber vom Alter aus betrachtet ist alles sehr einfach, wie ein jugendliches Fotoshooting mit Ampel.

Die Minidramen sind so etwas wie ein Tweet, man hat nur wenig Zeichen und muss trotzdem eine präzise Aussage treffen. Auch darin zeigen sich die kleinen Raritäten als das ideale Medium einer großen Kultur. Es sind die Gräschen zwischen den Betonplatten, die letztlich jede gigantische Arena überleben.

Die großen Monokulturen werden zusammengebrochen sein, da wird es die Minidramen noch geben, Klimawandel hin oder her.


Wolfgang Pollanz (Hg.), Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen, Minidramen
Wies: edition kürbis 2022, 72 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-900965-60-0

Weiterführende Links:
Edition Kürbis: Wolfgang Pollanz (Hg.), Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen
https://www.kuerbis.at/de/edition-kuerbis/shop-produkte-kuerbis/der-mann-der-sich-weigert-die-badewanne-zu-verlassen
Wikipedia: Wolfgang Pollanz
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Pollanz

Wolfgang Pollanz, geb. 1954 in Graz, lebt in Wies.
Die Kulturinitiative Kürbis hat ihren Sitz in Wies.

Helmuth Schönauer, 14-05-2022

 

Bibliographie

AutorIn

Peter Zemla / Casten Brandau / Katharina Riese u.a.

Buchtitel

Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen, Minidramen

Erscheinungsort

Wies

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Kürbis

Herausgeber

Wolfgang Pollanz

Seitenzahl

72

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-900965-60-0