Tobias Hürter, Das Zeitalter der Unschärfe

tobias hürter, das zeitalter der unschärfe„Stellen Sie sich vor, Sie finden eines Tages heraus, dass die Welt, in der Sie leben, ganz anders funktioniert, als Sie bisher glaubten. Die Häuser, Straßen, Bäume und Wolken sind nur Kulissen, bewegt von Kräften, von denen sie nichts ahnten. Genau dies ist den Physikerinnen und Physikern vor hundert Jahren widerfahren. Sie mussten einsehen, dass hinter den Begriffen und Theorien, durch die sie die Welt sahen, eine tiefere Wirklichkeit liegt …“ (S. 9)

Die Epoche vom Ende des 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gilt als das golden Zeitalter der Physik. In dieser Zeit haben sich Einsichten und Theorien entwickelt, die das bisherige Fundament der Physik revolutionierte und die Welt von Grund auf verändert hat.

Tobias Hürter erzählt die Geschichte der zentralen Physikerinnen und Physiker, die ihrer Physik und einer neuen Sicht auf die Wirklichkeit ihren Stempel aufgedrückt haben. Den Beginn macht die zweifache Nobelpreisträgerin Marie Curie. Der aus Polen stammenden Naturwissenschaftlerin gelingt es in einer Männerdomäne bahnbrechende Entdeckungen auf dem Gebiet der Atomphysik zu machen.

Die Darstellung wechselt zwischen den Zeiten und den einzelnen dargestellten Physikern vom Jahr 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima und der Inhaftierung bekannter deutscher Physiker, die der Zusammenarbeit mit dem Naziregime verdächtigt worden sind.

Neben Marie Curie behandeln die verschiedenen Kapitel das Leben und die Arbeit der bedeutenden Physiker Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Guglielmo Marconi, Werner Heisenberg, Arnold Sommerfeld, Louis de Broglie, Paul Dirac, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli und Paul Ehrenfels. Neben den zentralen Entdeckungen und Theorien wird auch von Treffen, Debatten und mitunter heftigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen den großen Physikern berichtet.

Mehrere umfangreiche Kapitel widmen sich den Solvay-Konferenzen in Brüssel, wo es 1927 zu einem großen internationalen Treffen der wichtigsten Physiker dieser Zeit kommt, um über die zentralen Fragen der Physik zu debattieren. Aber auch der Aufstieg und die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und die recht unterschiedliche Reaktion und Haltung mancher Physiker dazu, wird anschaulich thematisiert.

Tobias Hürter lässt die große Zeit der Physik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Leben erwachen, wobei vor allem das Leben der Physiker im historischen Umfeld, ihre Auseinandersetzungen und ihr Ringen um eine Neuinterpretation der Physik im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Die wissenschaftlichen Theorien und Ansätze werden hingegen nur oberflächlich gestreift.

Ein überaus empfehlenswertes Sachbuch, das sich der Entwicklung der Physik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf biographischem Weg nähert und ein ebenso lebendiges wie spannend zu lesendes Bild einer vergangenen Wissenschaftsepoche zu zeichnen vermag.

Tobias Hürter, Das Zeitalter der Unschärfe. Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2022, 400 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-608-98372-2

 

Weiterführende Links:
Klett-Cotta Verlag: Tobias Hürter, Das Zeitalter der Unschärfe
Wikipedia: Tobias Hürter

 

Andreas Markt-Huter, 15-06-2022

Bibliographie

AutorIn

Tobias Hürter

Buchtitel

Das Zeitalter der Unschärfe. Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945

Erscheinungsort

Stuttgart

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Klett-Cotta Verlag

Seitenzahl

400

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-608-98372-2

Kurzbiographie AutorIn

Tobias Hürter studierte Philosophie und Mathematik in München und Berkeley. Danach arbeitete er als Redakteur bei der MIT Technology Review sowie der Wochenzeitung Die Zeit und war stellvertretender Chefredakteur des Philosophie-Magazins Hohe Luft, das er mitbegründet hatte. Heute arbeitet er als freier Journalist, u. a. für "Hohe Luft" und "Die Zeit - Wissen".