Harald Darer, Mongo

harald darer, mongoDort hineinstierln, wo Statistiken und offizielle Curricula nicht hinkommen, das ist unter anderem die Aufgabe eines zeitgenössisch-aufgeweckten Romans.

Harald Darer nimmt sich mit seinem Roman „Mongo“ des Schicksals eines pfiffigen Helden an, der medizinisch gesehen mit dem Down-Syndrom geboren worden ist, aber nach allen Regeln der Kunst ein abgerundetes, vielleicht sogar glückliches Leben führt.Nach dem Motto, dass die schwersten Probleme in der kleinsten Familie gelöst werden, treten Katja und ihr Mann, der Ich-Erzähler Harry, eine ungewisse Schwangerschaft an. Das anstehende Kind könnte etwas mit Trisomie 21 haben, vermutet die werdende Mutter, weil ihr Bruder damit auf die Welt gekommen und es vielleicht vererbbar ist.

Von der ersten Minute an regieren Halbwissen und ein geheimes Curriculum einer Pseudo-Integrationskultur. Der Erzähler ist jedenfalls hellhörig und erforscht zunächst einmal seine Kindheit, ob darin etwas wie das Down-Syndrom vorgekommen ist und wie man davon geredet hat. Dabei kommt ihm eine Szene in Erinnerung, wo eine Kinderschar in der Nachbarschaft „den Behinderten“ anglotzen will, ihn aber nie zu Gesicht bekommt, sodass es beim Hörensagen bleibt. An anderer Stelle tritt ein gewisser Albert auf, den man zynisch Einstein nennt, weil er offensichtlich im Habitus etwas Geniales hat. Im Volksmund nämlich liegen Genie und Handicap eng beisammen.

Als nächste Auskunftsquelle bietet sich die Schwiegermutter an. Wie war das bei der Geburt von Markus, als man zum ersten Mal die Behinderung bemerkte? Rund um das Kind entwickelt sich bald einmal eine eigene Sprache, Markus wird so selbstverständlich integriert, dass seine jetzt schwangere Schwester nichts Besonderes bemerkt. Höchstens der berühmte Witz kommt in Erinnerung, wonach alle Mongo zu ihm sagen und er zu Hause fragt, wer ist eigentlich Mongo? Das lässt darauf schließen, dass die Außenwahrnehmung einer Familie anders verläuft als die Innensicht.

Zu einem Schlüsselerlebnis für Selbständigkeit wächst sich eine Geburtstagsfeier in Wien aus, als der beinahe kauzig wirkende Wolfgang aus der Steiermark anreist, in Meidling aussteigt statt am Hauptbahnhof und das jeweilige Befinden geradlinig ausspricht. „Ah, wo liegt mein Gefühl? Durstig bin ich.“ (130)
Diese ungeschützte Ausdrucksweise lässt das Paar die eigene Sprache überprüfen, vor allem in sexuellen Dingen hat sich eine theatralische Kommunikation ausgebreitet. Nach einem Geschlechtsverkehr mit allen Öffnungen zieht sich schließlich Herr Wurst aus der Muma zurück und alle sind glücklich. Da muss selbst ein gestandenes Paar lachen, wie witzig Sex sein kann, wenn man ihn richtig anspricht.

Diese ungewöhnlichen Erkundungen zum Thema Down-Syndrom ergänzt endlich ein Gynäkologe der alten Schule mit seinem Aufklärungsgespräch. Er vergleicht die Schwangerschaft mit einem Kartoffelsack, wo lauter gute Kartoffeln manchmal von ein paar faulen heimgesucht werden. So etwa ist das Verhältnis beim Down-Syndrom. Logischerweise untersucht der Arzt zuerst das Geschlecht, es wird eine Tochter, und erst dann lässt er sich zu einer Nackenfalten-Untersuchung überreden, die aber auf ein gesundes Kind hindeutet.

Eine Recherche im Netz führt bald einmal in die Vernichtungseinrichtung Hartheim bei Linz, wo im Wildwuchs der Gedankengänge historische Aufklärung, Gedenken einerseits, sowie Wiederbetätigung und Herabwürdigung der getöteten Kinder andererseits, ungebremst auf den Bildschirm treten.

Dieses Netz ist deprimierend wie die österreichweit aufgestellten Wetterkameras, die umso euphorischer senden, je schlechter das Wetter ist. Wenn du den Geist Österreichs sehen willst, musst du eine Viertelstunde Wetter schauen! (144)

Die Tochter kommt gesund zur Welt, bald gibt es noch einmal Zuwachs und als die Schwiegereltern gestorben sind, wird die Sache mit dem Down-Syndrom wieder virulent. Wohin mit Markus?

Natürlich denkt man zuerst an ein Wohnheim, aber an dessen Spielregeln droht der Arme zu zerbrechen. Also holt man ihn in die Familie, die ja mittlerweile bestens aufgeklärt und vorbereitet ist für das Zusammenleben mit kreativen Menschen.

Das aufwühlend Optimistische geschieht freilich, als sich eine „Sozialarbeiterin plus“ bereit erklärt, dem Klienten auch sexuell zu Diensten zu sein. Immer wieder nämlich sind die Wünsche makaber abgeschmettert worden. „Was, du willst ficken? Dann würde ja wieder so was wie du herauskommen.“

Wie in einem Märchen geht Mongo zu Ende und hinterlässt baffe Leser, denen das erste Mal bewusst wird, dass zur Integration auch die sexuelle Teilhabe gehört.

Harald Darers Roman wird damit zu einem Aufklärungs- und Bildungsroman erster Klasse.

Harald Darer, Mongo. Roman
Wien: Picus Verlag 2022, 223 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-7117-2119-8

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Harald Darer, Mongo
Wikipedia: Harald Darer

 

Helmuth Schönauer, 04-03-2022

Bibliographie

AutorIn

Harald Darer

Buchtitel

Mongo

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

223

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-7117-2119-8

Kurzbiographie AutorIn

Harald Darer, geb. 1975 in Mürzzuschlag, lebt in Wien.