Christian Futscher, Statt einer Mütze trug ich eine Wolke

christian futscher, statt einer mütze trug ich eine wolkeJeder Roman lebt davon, dass er mit den Wörtern mehrdeutig umgeht. Schließlich geht es bei jedem Begriff um eine vage Gedankenbewegung. Wenn beispielsweise etwas am Kopf sein soll, ist es vorerst egal, ob es sich um eine Mütze handelt oder um eine Wolke.

Christian Futscher entwickelt aus diesem Mehrdeutigkeitskult heraus eine eigene Erzählform. Der Ich-Erzähler tritt in die Plot-Stapfens eines Schelms und spuckt eine Pointe nach der anderen aus. Wie bei einem Miststreuer werden die Dungteile gleichmäßig verteilt und spornen die Phantasie zu größtem Wachstum an.

„Immer schon habe ich gerne gelogen, das Lügen versetzte mich manchmal in einen rauschhaften Zustand. Meine Phantasie sprudelte, ich wunderte mich oft selber, was mir alles einfiel. Und auch darüber, dass mir geglaubt wurde.“ (17)

Der Held zieht in diesem Wolken-Roman ausschweifende Bilanz über sein Leben, das er von vier Richtungen aus ansteuert. Im sogenannten „Lied“ wird das Lebensprogramm als frecher Gesang ausgebreitet, während der Pop der 1960er Jahre über die Kids hereinbricht, haben diese noch Fragmente von Wanderliedern und Hüttenzauber im Sinn.

Im nächsten Lebensabschnitt schwappt die Boheme eines Boris Vian mit seinem „Schaum der Tage“ durch den Alltag, für die Helden bedeutet das, auf möglichst vielen Bierkrügen diesen Schaum zu schlürfen.

Das dritte Kapitel ist äußerst kurz und besteht aus dem Wort Lücke, es lässt offen, ob es sich um einen Filmriss oder ein sonstiges Blackout handelt.

Und schließlich dreht sich alles um den Nabel der Welt. Eine innige Liebesgeschichte aus den 1970er Jahren wird im neuen Jahrhundert noch einmal aufgefrischt und siehe, der Nabel der Geliebten ist der Nabel der Welt.

Das Erzählen lässt sich am ehesten mit dem Fischfang durch Netze vergleichen. Die Netze sind etwa Reisen nach Tunesien, Frankreich oder England, allen drei Ländern ist gemein, dass darin absurde Geschichten spielen. In Tunesien etwa erklärt ein Reiseführer mit dem Satz „ein Kamel zieht einen Karren“ die politischen Zusammenhänge im Land. In Frankreich fahren an einer Kreuzung ein paar mal Autos aufeinander, die Fahrer zeigen einander jeweils den Stinkefinger, lassen aber die Polizei außen vor. Diese zeigt sich in England als besonders hilfsbereit. Als der Held zusammengeschlagen wird, weil er auf die Frage nach Geld mit „I am from Austria“ geantwortet hat, greift ihn die Polizei auf und fährt mit ihm einen Tag lang die Stadt ab in der Hoffnung, dass er die Schläger wiedererkennt.

Die einzelnen Episoden werden freilich zeitnah relativiert, so stimmt von Frankreich nur die Begegnung mit dem Stinkefinger, alles andere ist gelogen.

Oft bleibt offen, wie wahrscheinlich oder wahr eine Begebenheit ist. Ein Hund ejakuliert am Gehsteig so stark, dass man die Warzen auf seinem Genital erkennt, was Ekel auslöst. Der Ruf nach Einschläfern wird zumindest als Faust in der Hosentasche herumgetragen.

Alpine Lausbuben nageln eine auf blutig gemachte Puppe ans nächstbeste Gipfelkreuz, um zu dokumentieren, dass ein Gipfelsieg kein Honiglecken ist. An anderer Stelle kauft die Truppe ein Stück Fleisch und schmeißt es vom Stadtberg hinunter in die Fußgängerzone. Der Sinn dieses Fleischwurfs soll vage bleibe, zwischen politischer Aktion, veganem Contra und einer Solidarität mit den Tieren ist alles denkbar.

Es kann aber auch bloß ein Missverständnis sein, dass jemand das Fleisch aus Versehen gekauft hat, weil er das Fleisch mit irgendwas verwechselt hat. Die Presse lebt von diesen Verwechslungen und nützt sie für diffuse Überschriften. Einmal heißt es, dass der Bandenchef Grosser wieder von Amerika zurück sei. Beim Grosser freilich handelt es sich um einen exzellenten Hallenfußballer, der das Spiel mit der Bande beherrscht und so als Bandenchef gilt.

Was haben das Rathaus, das Schwimmbad und die Kirche gemeinsam? Allen dreien muss man mit einem passenden Ausruf des Staunens begegnen! Rathaus: Aha! / Schwimmbad: Soso! / Kirche: Jessasna! (52) Diese Ausrufe gelten überall auf der Welt, vor allem in Tunesien, England und eh schon wissen.

Im Laufe des Romans sterben die Helden von früher, es bleiben nur ein paar Pointen, etwa, dass einer mehrere Frauen nach Beendigung der Liebschaft in einen Teppich gewickelt und zu Tode gekitzelt habe.

Für den reifen Lebensabschnitt packt der Erzähler noch einmal seine Sehnsüchte aus und fährt die Strecke der Jugend retour, das heißt, er muss von Wien aus nach Vorarlberg fahren. Dort hat sich alles verändert. „Es ist 2014.“ Diese Feststellung hat etwas von einem Weltuntergang an sich. Alles ist anders.

„Die Zeit besiegen, den Tod besiegen. Es ist noch nicht vorbei. Alles ist möglich. Ich gebe nicht auf. Ich fange erst an. Ich packe die Zeit am Schwanz und schleudere sie in die Büsche.“ (122)

Die Reise geht zurück zu Carmen und ihrem Nabel, an dem einst die Welt geankert hat. In einem Sehnsuchtsrausch zwischen allen Zeiten besprüht der Rasende der Erinnerung alles mit einem Brandbeschleuniger und zippt mit dem Feuerzeug.

„Aus der Not eine Jugend machen!“ (151) Da ist er schon wieder, dieser kleine Hörfehler, der zwischen Lüge und Wahrheit nicht unterscheiden kann.

Das Vermächtnis eines solchen Lebens voller Irr-Begriffe ist eine kleine Liedersammlung. Am Ende eines Lebens bleibt nämlich nur ein Songbook, in dem jene Stücke verzeichnet sind, die ein Leben in Wallung bringen können. Die Liste ist fünf Seiten lang.

Christian Futschers Erzählnetz ist prall gefüllt, es dauert Stunden, bis man die einzelnen Pointen in schelmisch, philosophisch und weise sortiert hat. Aber diese kleine Unschärfe in der Vorstellung macht es aus, es kann eine Mütze sein, es ist aber wohl eher eine Wolke.

Christian Futscher, Statt einer Mütze trug ich eine Wolke. Roman
Wien: Czernin Verlag 2022, 175 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-7076-0756-7

 

Weiterführende Links:
Czernin Verlag: Christian Futscher, Statt einer Mütze trug ich eine Wolke
Wikipedia: Christian Futscher

 

Helmuth Schönauer, 16-03-2022

Bibliographie

AutorIn

Christian Futscher

Buchtitel

Statt einer Mütze trug ich eine Wolke

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Czernin Verlag

Seitenzahl

175

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-7076-0756-7

Kurzbiographie AutorIn

Christian Futscher, geb. 1960 in Feldkirch, lebt in Wien.