Edith Stork, Tatort Büro
Zurichtung, was für ein magisches Wort. Sofort fallen einem Sätze ein wie: Wer hat denn dich so zugerichtet? Ich habe meinen Hund gut zugerichtet. Oder: Das Fleisch wird geschnitten und zugerichtet.
Alle diese Bedeutungen schwingen mit, wenn uns Edith Stork den Tatort Büro vor Augen führt, das Büro ist nämlich seit Jahrhunderten nichts anders als ein Ort der Abrichtung und Zurichtung. Ausrüstungen mögen sich verändert haben, aber die Tätigkeit im Büro ist immer die gleiche, es geht um anbieten, steigern, bezahlen, versenden und dokumentieren.
?Die Verhaltensweisen in den Büros zeigen einen konservativen und traditionsbewussten Menschen, der mit seiner Arbeit altmodisch verhaftet ist, der sich schützend über seine Stapel wirft.? (20)
Nur die Begriffe des so genannten neuen Büros sind neu, der Inhalt ist auch beim back-office, desk-sharing, meeting-room, front-office oder home-desk der alte geblieben, die Mitarbeiter müssen offensichtlich ordentlich zugeritten werden, damit sie die Tour durch die Bürowelt überstehen. Warum verbunkern sich Mitarbeiter hinter Pflanzen, die vor ihren Augen verrecken? Warum sind die Möbel immer in puderfarbenen Tönen gehalten, warum steigt die Papierflut im exponentialen Verhältnis zur Digitalisierung?
Der Tatort Büro besteht aus Architektur, Möbel, Ordnungsmittel und dem dressierten Menschen darin. Am Beispiel Büro lässt sich das Gesellschaftssystem darstellen und erklären. Warum sind die Hierarchien immer markant angelegt, auch wenn sie sich flach nennen? Warum schauen moderne Bürogebäude wie gestrandete Schiffe aus? Warum ist Mobbing nicht wegzukriegen, auch wenn es mittlerweile gesetzliche definierte Spielregeln gibt?
Edith Stork schlägt Ordnung vor, um diesen ausgefransten Überlebenskämpfen des Alltags zu begegnen. Ordnung bringt nicht nur Struktur und Kostenersparnis, letztlich gibt sie den entscheidenden Sinn, um so ein Ungetüm wie ein Büro begreifen zu können. Es muss nicht immer Feng shui sein, wenn es um die Umgestaltung geht, warum halten wir uns nicht an den ?goldenen Schnitt?? Warum essen die meisten an ihren Schreibtischen, nur weil der süße Riegel die Gestalt eines Büroartikels hat?
In Analysen und Interviews kommen die unglaublichsten Geheimabsichten ans Tageslicht, das Büro ist tatsächlich der Code, der die gesamte Welt entschlüsselt, wenn man die einzelnen Zöpfe einmal aufgedröselt hat. Kurze Darstellungen der großen Bürohengstkulturen bei den Ägyptern, Römern und Fuggern führen dann in die abschließende Vision:
?Wir können dem Büro nicht entrinnen, da uns der Handel mit Gütern aller Art zu diesem Einsatz zwingt. Für die Kultur der Ordnung bei der Arbeit und nach der Arbeit, privat, für Kultur im Büro mit guten Möbeln, Licht und Transparenz, genügend Raum, und ach, mehr als einem Hauch von Würde und als treibende Kraft, die Sehnsucht nach Klarheit für das Schöpferische des Menschen, unsere Kultur, damit sich die Kräfte immer wieder neu binden, ist es kein Widerspruch, sondern vermacht Geist und Körper Tag für Tag immer wieder Flügel für den freien Vogelflug, der uns bei neuer Sichtweise Neues ermöglicht.? (S. 153)
Edith Stork, Tatort Büro. Gegen die Zurichtung des Menschen im Büro.
Weinheim / Basel: Beltz 2004. 157 Seiten. EUR 24,90. ISBN 3-407-36399-0.
Helmuth Schönauer, 07-01-2005