Lesen von Sachtexten im Unterricht – Teil 2

BibliothekGeht es um das Verstehen von Texten, lassen sich fünf Teilprozesse des Verstehens unterscheiden. Zu den zwei hierarchieniedrigen Teilprozessen gehört einmal die proportionale Textrepräsentation. Diese vollzieht sich beim Lesen im Kopf, wenn Kernaussagen des Textes nach und nach zur Kenntnis genommen werden. Wichtig dabei sind die semantischen Zusammenhänge und ein pragmatischer Kontext. Dann die lokale Kohärenzbildung, bei der inhaltlich-sprachliche Bezüge zwischen Teilsätzen und Sätzen erkannt werden. Hier erfolgt eine noch begrenzte, erste inhaltlich orientierte Verarbeitung des Gelesenen

Zu den drei hierarchiehohen Prozessen gehört die globale Kohärenzbildung, bei der größere Einheiten, wie Satzfolgen, Abschnitte u.a., mit vorhandenem Vorwissen zu einem großen Bedeutungszusammenhang verknüpft werden. Dann die Bildung von Superstrukturen, wie dem Erkennen der Textsorte, wie z.B. einer Zeitungsmeldung etc., oder von Zeit, Ort und Handlung. Und drittens, das Erkennen rhetorisch-stilistischer Hilfsmittel, wie z.B. Ironie, Metaphern, etc.

Vorwissen von Leserinnen und Lesern

Beim Verstehen von Sachtexten spielt das Vorwissen der Leserinnen und Leser eine entscheidende Rolle. Dazu zählen das Wissen über Inhalte und Sachverhalte der Textinformation ebenso, wie das Erkennen von Textsorten und Textschemata, das Beherrschen von Strategien und ihre Anwendung bei der Rezeption von Texten, das Wissen über die eigenen Lesekompetenzen, wie die Leseaufgaben zu meistern sind und welche Anforderungen sie stellen.

Wichtig für das Lesen und Verstehen sind ein gutes Arbeitsgedächtnis, die Verknüpfung von Vorwissen mit den Textinformationen, eine positive Lesemotivation und die Umsetzung von Lesestrategien, die sowohl zielführend als auch flexibel einsetzbar sein sollen.

notizbücher
Zusammenfassungen über das Gelesene zu schreiben, hilft beim
Verständnis von Sachtexten.

 

Der gezielte Umgang mit Sachtexten im Unterricht

Um den gezielten Umgang mit Sachtexten zu üben, bietet sich vor allem der Deutschunterricht an, wo eine breite Vielfalt von Sachtexten vorgestellt und gezeigt werden kann, mit welchen Möglichkeiten und Strategien sich Inhalte, Aussagen und Intentionen von Sachtexten richtig und schnell erfassen lassen. Dabei hilft, für die Schülerinnen und Schüler eine Auswahl an Sachbüchern zu verschiedenen Themen mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zusammenzustellen, um den ungleichen Interessen und Lesekompetenzen entgegen zu kommen und damit die Lust am Lesen zu fördern.

Aufgabe der Lehrperson ist es, durch Nachfragen zu kontrollieren, wie weit der neue Text verstanden wurde und die Lernenden zur Recherche und zu einer vertiefenden Lektüre zu motivieren.

Für ein vertiefendes Verständnis des Inhalts eines Textes hat sich eine gezielte Verlangsamung der Lektüre als zielführend erwiesen. Dazu kann ein Textteil gelesen und anschließend spielerisch der weitere Verlauf des Textes vorauszusagt werden. Ebenfalls bewährt hat sich, einzelne Textaussagen zu notieren, zu kommentieren oder eine Zusammenfassung darüber zu schreiben. Aber auch gezielte Textvergleiche verschiedener Sachbücher fördern das bewusste Verstehen von Texten.

Beim Lesen von Sachbüchern im Unterricht empfiehlt es sich, die Klarheit und Verständlichkeit der Texte vorab zu prüfen, den Unterricht zu gliedern und in Sequenzen einzuteilen, die Schülerinnen und Schüler bewusst zu motivieren und die Lehr- und Lernangebote gezielt auf die gewünschten Lehr-Lern-Erfolge abzustimmen. Außerdem sollte ein ausreichendes Maß an Übungsmöglichkeiten in einem lernförderlichen Klima eingeplant werden, wo es möglich ist, produktiv mit Fehlern umzugehen und unterschiedliche Lernmethoden auszuprobieren und anzuwenden.

buchlesen
Die richtige Auswahl von Sachtexten für den Unterricht hilft den Lernerfolg
und die Motivation zum Lesen zu erhöhen.

 

Für das Lesen von Sachbüchern im Unterricht wird empfohlen:

  • Vorlesen durch die Lehrer

  • Verwenden niveauangepasster Lektüre

  • individuelle Unterstützung einzelner Schüler
    • Instruktionen durch Lehrer
    • einzelne Schüler erhalten Zeit um Lesestrategien zu üben
    • vielfältige Maßnahme individueller Förderung: Gruppenarbeit, Förderunterricht, Nachhilfe
    • breite Auswahl unterschiedlicher Texte
    • kreativer Umgang mit den Texten
  • anregender Unterricht im Klassenverband
    • Verbesserung der Lernkompetenz
    • Schüler bringen eigene Erfahrungen und eigenes Vorwissen ein
    • Formulieren lernen von Voraussagen, Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen
    • schriftliche Beantwortung von Fragen und kreative Auseinandersetzung mit dem Text
    • Arbeiten mit didaktisch aufbereiteten Texten und Sachtexten

Die Anwendung von Lesestrategien

Tests haben gezeigt, dass beim stillem Lesen Textinhalte durch Unterstreichen und Herausschreiben wichtiger Wörter am effektivsten erarbeitet werden können. Als neue Methode beim Umgang mit Sachtexten hat sich wechselseitiges, reziprokes Lehren und Lernen etabliert, bei der Experten schwächere Leser mit Methoden vertraut machen, die das Verstehen des gelesenen Textes erleichtern. Dazu gehört das Zusammenfassen von Textabschnitten, das Formulieren von Fragen und das Klären von Fragen zum Text ebenso, wie das Vorhersagen und Antizipieren des weiteren Verlaufs des Textes. Die Experten leiten die Leseanfänger schrittweise an die verschiedenen Techniken heran, die dann zunehmend eigenständig angewandt werden.

In der ersten Phase liegt die Hauptarbeit beim Lehrer, der die Techniken erklärt und vorführt, wobei der Lerner vor allem beobachtet. In der zweiten Phase setzt der Lerner das Gezeigte um, während der Lehrer korrigierend und helfend eingreift. In der letzten Phase übernimmt der Lerner die Initiative, verinnerlicht und reflektiert den Lernprozess. Der Experte nimmt nur mehr die Rolle des interessierten Zuschauers ein.

Zahlreiche Studien konnten bestätigen, dass wechselseitiges Lehren und Lernen die Leseleistungen deutlich verbessert, wobei der Lerneffekt langandauernd und stabil bleibt. Die Erfolge haben sich vor allem bei gezielten Fragen zum Text, der Ermittlung der Grundidee des Textes und beim Zusammenfassen des Gelesenen gezeigt. Die genannten Erfolge konnten auch in einer siebten Klasse unter den Bedingungen des Schulbetriebs bestätigt werden.

buch mit lesezeichen
Das Untergliedern der Sachtexte erleichtert beim Verständnis des Inhalts.

Studien haben auch gezeigt, dass die Anzahl der Übungseinheiten, die Gruppengrößer der Lerner und die Anzahl der vermittelten Strategien das reziproke Lehren und Lernen nicht entscheidend beeinflussen. Dabei haben sich längere Texte in Aufbau, Kohärenz und Wortschatz als leserfreundlicher erwiesen, die das Verarbeiten und Beantworten von Fragen erleichtern. Kürzere Texte hingegen machen wiederholtes Lesen notwendig, weil für Antworten mehrere Aussagen kombiniert werden müssen und ein stärker ausgeprägtes Vorwissen benötigt wird. Die Studien belegen auch, dass zu fragen lernen etwas Anderes ist, als eigenständig Fragen an neue Texte zu stellen, die die Umsetzung des Gelernten auf Neues also eine besondere Herausforderung darstellt.

Darüber hinaus fördert die Schulung der Auseinandersetzung mit Sachtexten weiterführende Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler, wie den kritischem Umgang mit Texten von Mitschülern, das Ergänzen oder Erweitern ihrer Zusammenfassungen und Fragen, das Kommentieren ihrer Vorhersagen, aber auch mitzuhelfen, Unverstandenes zu klären.

Die bekannten amerikanischen Erziehungswissenschaftlerinnen Annemarie Palinscar und Ann Brown haben vier Tätigkeiten für das Verstehen von Texten besonders betont:

  • fragen
  • zusammenfassen
  • klären
  • vorhersagen

Schlussfolgerung für den schulischen Unterricht

Der Umgang mit Sachtexten sollte sich verstärkt an den Aspekten Text (Textsorte, Textfunktion), Leser, Prozess des Verstehens sowie Lesestrategien orientieren.

Im Deutschunterricht bieten sich verschiedene Möglichkeit der Leseförderung von Sachtexten an:

  • Angebot von Teilaufgaben und fördernde Trainingsprogramme
  • didaktisch reflektierter, fächerübergreifender Unterricht
  • möglichst reichhaltige Textauswahl mit vorzugsweise authentischen Texten
  • hinreichend kognitives Anregungspotenzial
  • Methodenvielfalt
  • leserdifferenzierter Unterricht

Bewährt haben sich ein anregender Unterricht im Klassenverband mit einer klar strukturierten Interventionstechnik, wie das reziproke Lehren und Lernen. Die Aufgaben sollten nicht nur im Klassenunterricht oder als Einzelarbeiten, sondern möglichst durch kooperatives Lernen erarbeitet werden, um die Aktivität der Schüler beim Lernen stetig hochzuhalten Dabei wird der Unterricht durch die kompetente Vorbereitung der Lehrer gezielt strukturiert und die Aufgaben durch Lerngruppen - mit einer idealen Größe von vier Personen - bearbeitet, deren Ergebnisse dann in der Klasse vorgestellt werden.

schüler beim gemeinsamen lesen
Lerngruppen mit vier Personen haben sich als ideale Lerngröße gezeigt.

 

Die drei Schritte kooperativen Lernens

Die erste Phase kennzeichnet sich dadurch, dass die Schüler zunächst versuchen für sich allein einen Überblick, eine Orientierung über den gelesenen Text zu gewinnen und ihr Vorwissen mit dem neuen Wissen zu verknüpfen. Anschließend werden Teiläußerungen des Textes zusammenfasst, Schwierigkeiten festgehalten und versucht, diese zu klären. Danach gilt es den Text im Ganzen zu verarbeiten, ihn mit dem vorhandenen Wissen aber auch mit zusätzlichen Quellen zu verknüpfen und die Qualität der eigenen Verarbeitung und des Textangebots zu bewerten. In der zweiten Phase erfolgt der Austausch, in der die Gruppenmitglieder ihre neuen Erkenntnisse und Ergebnisse untereinander austauschen und verbinden. In der dritten Phase stellt die Gruppe ihre verknüpften Ergebnisse der gesamten Klasse vor und erweitern diese schlussendlich um die Meinung und das Wissen aller Zuhörer. Die Schülerinnen und Schüler werden im Verlauf des kooperativen Lernens zunehmend mit einem wirksamen Prozess des Lernens und Arbeitens vertraut gemacht. Kooperatives Lernen bewirkt bei den Schülern höhere Aktivität, emotionale Sicherheit beim Lernen und anspruchsvollere Lernleistungen.

Das Sachbuch „Sachtexte lesen und verstehen“ bietet eine Fülle an Vorschlägen und Übungstexten für den kompetenzfördernden Unterricht beim Umgang mit informierenden, appellierend/instruierenden, verpflichtenden und bewirkenden Sachtexten. Dazu werden jeweils zahlreiche Übungsbeispiele und Texte für verschiedene Schulstufen, von der Volksschule bis zur Sekundarstufe II angeboten.

 

>> Lesen von Sachtexten im Unterricht – Teil 1

Quellle: Jürgen Baurmann, Sachtexte lesen und verstehen

 

Andreas Markt-Huter, 11-01-2022

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