Isabella Breier, Grapefruits oder Vom großen Ganzen

isabella breier, grapefruits oder vom großen gartenEinem Klumpen Lehm gleich wird der sogenannte Konzeptroman den Lesern auf einer Töpferscheibe angeboten, die sich beim Lesen zu drehen beginnt, sodass daraus ein persönlicher Golem geformt werden kann.

Isabella Breier nennt ihr Buch „Vom großen Ganzen“ eine Groteske und serviert diese unter dem rätselhaften Titel „Grapefruits“. Schon beim ersten Aufschlagen des „Romans“ stellt sich dieses animierende Gefühl ein, dass man sich den Text erarbeiten muss. Im besten Fall dreht sich die Töpferscheibe und beim ersten Zupacken mit beiden Händen lässt sich ein großes Dreieck der Erkenntnis herauslesen.

I. von der Atemnot (9) / II. noch viel Spielraum bis ich weiß (gesammelt, geordnet und herausgegeben von „Grapefruits“) (29) / III. vom langen Atem (441)

Es handelt sich um die drei Grundsituationen eines Individuums, das in der Kunst tätig ist, man könnte es auch nennen: Atem suchen, Einatmen und Abtauchen. Denn dabei bleibt offen, ob das Individuum noch einmal auftaucht oder gleich von der Gesellschaft als untergegangen abgebucht wird.

Es geht also um Kunstbetrieb; und jede Beschreibung dieses erzählten Kosmos über Kunst, Kunstanwendung, Kunstproduktion und Kunstpersonal vereinfacht diesen grob. Quer durch den Roman zieht sich die Spur von „Grapefruits“ so nennt sich ein Künstlergaunerkollektiv, das überall die Finger im Spiel hat.

Die Aktionen entwickeln sich zu einem Kriminalfall. Zuerst geht bei der Bewerbung zum Projekt etwas schief, die Unterlagen werden geklaut, jemand anderer reicht ein und die anvisierten Partner sagen ab. Hasch-Kekse sind im Spiel und setzen Künstlerinnen in Trance.
Metamorphosen wuchern über das Layout der Realität, jemand wird in einen Köter verwandelt, ein Projekt „Totentanz und Trance“ entgleist. Zwischendurch wird alles, was an Material, Exposé, Entwürfen und Protokollen anfällt, gespeichert und quasi als Roman im abgeschirmten Modus des Kunstbetriebs hinterlegt.

Eine Heldin der Groteske ist die Icherzählerin, ihr wichtigstes Merkmal:

Es gibt ein x-faches Ich. (70)

In einer berührenden Szene verfällt eine Künstlerin in eine Art akademischen Monolog und merkt plötzlich, dass sie ein vierjähriges Kind an der Hand hat. (44) Der Leser fühlt sich im wahrsten Sinn des Wortes bei der Hand genommen und steht dem Dilemma der Erzählerin wie ein vierjähriges Kind gegenüber. Die ganze Konzeption von Projekten, ja der ganze Entwurf des Lebens stehen plötzlich zur Disposition, denn das Kind an der Hand verlangt nach einer anderen Realität.

An späterer Stelle lässt sich herauslesen, dass dieses Kind Valentina durch die argentinische Militärjunta traumatisiert ist, so dass es später als Frau jäh aus einem Projekt aussteigen muss, das als Bewältigung der Diktatur gedacht war.

Die Welt unter dem Wellengang der Groteske bricht in kleinen Subkulturen auf und zeigt sich etwa als Happening, Psychiatrische Klinik oder Gerichtswesen. Diese drei Einrichtungen sind vielleicht die radikalsten Foren, auf denen die Kunst scheitert.

Beim Happening auf einer Insel in der Ägäis versickert die Kunst in Leerlauf. Das Wesen dieser Tournee liegt in der Überfahrt mit der Fähre. „Die Fähre ist voller Leute, die einander egal sind, die vom „Zwischen“ nichts wissen wollen.“ (201)

Ein weiterer Ort, an dem sich Kunst nur vage entfalten kann, ist das „Stipendiumstädtchen“ (72), worin ein Turmprojekt verwirklicht werden soll, indem jemand als Kunst-Gestus ihr Stipendium in einer Turmwohnung verbringt. Die Heldin freilich schweift ab und landet im Lokal „lost lids“, worin sie verlorengeht. Manchmal diktiert sie etwas, das später im Typoskript durchaus sichtbar durchgestrichen wird, manches scheint ein Künstler-Tagebuch zu sein, manches der Entwurf für eine künstliche Welt.

Das gesammelte Material spitzt sich zu philosophischen Absätzen zu, Problemstellungen werden von der Erzählerin wie für ein imaginäres Ansuchen als innerer Monolog angerissen.  Zitate werden philosophischen Schulen zugeordnet, so wie üblicherweise die Stipendien-Kultur zwischendurch gerne Happen aus der Kunsttheorie aufschnappt und beliebig anwendet.

Einen dramatischen Einbruch erlebt die Künstlerin, als sie in einer Psychiatrie-ähnlichen Klinik aufwacht und offensichtlich von Kunst-Ärztinnen ausgefragt und sediert wird. Die Befragung dient eher dem Einschläfern der rebellischen Seele, als dass sie Aufklärung brächte.

Nahtlos an diese Psycho-Situation schließt die Inszenierung bei Gericht an. Es kommt zu einem umfangreichen Prozess, worin der ganze Kulturbetrieb mit dem Besteck der Forensik hinterfragt wird. Verleumdungen, Verwischungen, Vertuschungen sind an der Tagesordnung, sodass der Prozess mit Neujahrswünschen jäh beendet wird. Die Richterin stellt fest, der Prozess kann die allgemeine Konfusion nicht bereinigen.

Das provisorische Urteil lautet: Wir wissen es nicht, haben auf die meisten Fragen keine substanziierten Antworten. (345)

Im kurzen Kapitel vom langen Atem sind die Personen wieder in alle Winde zerstreut, jemand ist in Patagonien, und versucht es mit dem Ende der Welt, die (abgespaltene) Ich-Erzählerin – diese andere Eos, also die Galerie-Eos – befindet sich mit Ria, einer der Gründerinnen des Kollektivs „Grapefruits“, in der Bibliothek Oaxacas, und sichtet die Vergangenheit.

In einem Interview verweist die Autorin, dass viele der Protagonistinnen eng mit der griechischen Mythologie verknüpft sind. „Ria verweist eigentlich auf Ariadne, so wie Ionys auf Dionysos etc., aber das muss man nicht herauslesen können. Alles hier ist nona eine Geschichte von Metamorphosen.“ (Isabella Breier)

Um diese ausgelassene und ausgeronnene Welt der Isabella Breier halbwegs einzufangen, bräuchte es mehrere Rezensionen, jeweils aus anderen Zugängen gespeist. Für den ersten Lesedurchgang muss die Erfahrung genügen, dass der raffinierte Roman genauso tiefgehend ist, wie man in ihn als Knetmasse hineindrückt. Und mit etwas Glück entsteht daraus die schönste Lesekeramik.

Isabella Breier, Grapefruits oder Vom großen Ganzen. Eine Groteske
Wien: edition fabrik.transit 2022, 468 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-903267-44-2

 

Weiterführende Links:
edition fabrik.transit: Isabella Breier, Grapefruits oder Vom großen Ganzen
Wikipedia: Isabella Breier

 

Helmuth Schönauer, 28-09-2022

Bibliographie

AutorIn

Isabella Breier

Buchtitel

Grapefruits oder Vom großen Ganzen. Eine Groteske

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

edition fabrik.transit

Seitenzahl

468

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-903267-44-2

Kurzbiographie AutorIn

Isabella Breier, geb. 1976 in Gmünd, lebt in Wien.