Kurt Neumann, Ein Dutzend

Buch-Cover

Wenn ein Autor ein Vierteljahrhundert lang Abend für Abend literarische Gäste zum öffentlichen Diskurs einlädt, färbt das dann auf seine eigene Literatur ab?

Höchstens in der Ausdauer, an die Literatur zu glauben, ist man versucht zu sagen.
Kurt Neumanns Gedichte liegen erstaunlich stabil im stellenweise sehr lockeren Flussbett des Literaturstroms. Die tägliche Auseinandersetzung mit Literatur animiert ihn, aber erschlägt ihn nicht. Der Autor schreibt offensichtlich nur dann Texte, wenn sie fällig sind, und wenn er sich einmal an einer Form abgearbeitet hat, dann belässt er es beim Ur-Werk und stellt nicht noch Eigenkopien her, wie das oft im Literaturbetrieb geschäftsnotwendig zu sein scheint.

Kurt Neumanns Gedichte greifen scheinbar ?as usual? ein Thema auf und behandeln es, aber wie die Themen aufgespürt und vorgestellt werden, ist für den Leser beeindruckend. Schon der Titel ist eine witzige Kritik an die übergenauen Literaturbetreiber. Die Mengenangabe ?Ein Dutzend? muss ausreichen zur Beschreibung des Unterfangens. Und selbst diese vage Mengenangabe wird noch ironisiert mit dem ?zirka?. Dass im konkreten Fall das Dutzend dann eigentlich aus fünfzehn Unikaten besteht, ist fast schon logisch.

Das markanteste Stück der ?Dutzend-Sammlung? der Diskus von Kuvrat zerfällt in drei Teile. Vorderseite und Hinterseite nimmt man wie gewöhnlich hin, aber in diesem Fall gibt es noch einen dritten Zustand, als ob der Diskus auf der Kante stünde. Dieser Zustand heißt Spruchgeburt, aus Vorder- und Rückseite ergibt sich eine rotierende Sprachbewegung, die ein Gedicht freisetzt.

Für die genaue Rekonstruktion dieses dynamischen Gedichtes empfiehlt es sich, die Aufzeichnungen der Scheibe entlang zu lesen und dabei den Lyrikband permanent zu drehen. Die Überschriften der Gedichte halten sich vordergründig an Schlagzeilen, aber dann sind immer leichte Irritationen beigefügt, wenn es etwa um die Ballade über die Abreimung der Freiheit in Österreich geht oder um die Bearbeitung von Sonntagsreimen.

Die Begriffe erscheinen in bekannter Form und deuten auf etwas optimistisch Erhabenes hin, aber die Zeilen halten sich nicht an die Vorgabe, der Sinn rutscht über die einzelnen Verse hinaus ins Leere und greift dafür im nächsten Schritt ins Volle, nämlich in einen anderen Sinn. So kommt natürlich die Freiheit immer mehr in Bedrängnis, je mehr sie ?abgereimt? wird. Selbstverständlich liegt einem hier das Wort ?abwatschen? auf der Zunge, die Begriffe werden so lange schön geredet bis sie das Gegenteil sind.

Das genaue Hinschauen führt auch im Gedicht ?Metropole? zu überraschenden Ergebnissen. In die Propaganda einer scheinbar gut funktionierenden Metropole sind die euphorischen Sätze der Bewohner eingestreut, die mit netten Floskeln den Alltag aufzuhellen versuchen. ?Sehr erfreut? bezeichnet durch diese Einschübe das genaue Gegenteil, die trübe Soße kommt dadurch erst richtig zu Vorschein. Natürlich glaubt man auf Anhieb Wien zu erkennen, aber indem man diese Stadt ins Auge fasst, ist das Gedicht schon wieder ganz wo anders, in der universellen Aussage über Metropolen nämlich.

Die Edition Korrespondenzen, für die Kurt Neumann diese Sammlung zusammengestellt hat, ist mittlerweile zu einem kleinen wichtigen Bücherbord für bemerkenswerte Poesie angewachsen. Auf den haptisch einfühlsamen Klappentexten werden jeweils die wichtigsten Zugänge vorgestellt. Im Falle von Kurt Neumann heißen diese Hinweise:

  • Antwort auf die wild gewordene Phrasendrescherei der modernen Medienwelt
  • Offenlassen von Assoziationsräumen
  • Gedichte als schalkhaft kluge Sprachspiegel

So vermitteln diese Gedichte, so oft man sie liest, einen Abend voller Lust, einen Diskus voller Diskurs und eine Hommage an jene Unterbedeutungen, die sich erst mit großer Geduld aus der Sprache herausschälen lassen.

Kurt Neumann, Ein Dutzend. ca. 15 Gedichte.
Wien: Edition Korrespondenzen 2004. 27 Seiten. EUR 9,-. ISBN 3-902113-32-4.

 

Helmuth Schönauer, 08-12-2004

Bibliographie

AutorIn

Kurt Neumann

Buchtitel

Ein Dutzend. ca. 15 Gedichte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Edition Korrespondenzen

Seitenzahl

27

Preis in EUR

EUR 9,-

ISBN

3-902113-32-4

Kurzbiographie AutorIn

Kurt Neumann, geb. 1950 in Gmunden, lebt in Wien. Seit 1977 verantwortlich für das Literaturprogramm der Alten Schmiede in Wien.