Katharina J. Ferner, krötentage

katharina ferner, krötentageDie Nachrichtenwelt verschiebt sich ständig wie die Platten der Erdkruste. Stoßen die Textblöcke aneinander, sind oft Erschütterung und Vulkanismus angesagt. Das Individuum wird von dieser Lage mitgerissen und schützt sich, indem es sich mit einem Panzer aus Eigensinn und Eigenwelt umgibt. In dieser Erregungszone gedeihen Liebesgedichte meist vortrefflich, weil sie durch Abschirmung, Ironie und Abschweifung das Intime mit dem Zeitgeist in Verbindung bringen.

Katharina J. Ferner nennt diesen Erregungskosmos „krötentage“ und verweist in der Anmoderation des Innencovers darauf, dass es sich dabei um die alte Gattung der Liebeslyrik handelt. Und im Stile eines überschwänglichen Essays kommt bald einmal das Programm zum Vorschein:

„* / in einem liebesgedicht lässt sich das universum nicht erklären / und auch die wissenschaft stößt an ihre grenzen / geben wir uns doch mit studien selten zufrieden / wenn wir in der ersten phase der verliebtheit / allerlei dummheiten machen …“ (14)

Die Gedichte sind nach dieser Lesart ein persönliches Aussinten der Sprache und mehr als bloße Verliebtheit des lyrischen Ichs. Die angesprochenen Personen, die mit Gefühlen, Scherzen und Nachdenklichkeiten überschüttet werden, sind letztlich die Leser, die endlich anspruchsvoll angebetet werden wie hochstehende Figuren aus der Renaissance.

Dabei ist es gerade die Kröte als tiefgelegtes Tier, die den großen Gestus der Liebe in seine Schranken verweist, sei es in der biologischen Bedeutung als aussterbendes Amphibium, sei es als flapsige Beschreibung für Geld.

Die Stationen der Liebeslyrik sind mit Astrid (7) / Play play play (43) / Johanna (63) überschrieben. Die Sequenzen könnte man auch mit Begriffen eines geheimnisvollen Rätsels, eines närrischen Spiels und eines abgeklärten Nachrufs hinterlegen.

Unter „Astrid“ entwickelt sich ein hoffnungsvolles Abenteuer, ein Lustgarten wird barfuß im Tau durchschritten, das dabei aufwallende Gedicht kriegt das Du gleich hinter die Ohren geschrieben, sodass es keine Fehldeutung gibt für jene Worte, die jetzt fällig sind:

„* / welche bedeutung worte bekommen / abend und nacht im konkreten / sternenklar ist egal …“ (11)

Poesie vermag ab nun den Liebesbriefen das gewisse Etwas zu verleihen (30), und die Verliebten nehmen den Habitus von Wildtieren ein, wenn sie instinktgetrieben durch die Stadt Wien eilen, die sich offensichtlich auf einen Weltuntergang mitten in der Geschäftigkeit vorbereitet.

Eben noch war das lyrische Ich in Berlin und hat dort Flügelschläge in die Baumkronen gehängt, eingekreist von Plattenbauten, das Wilde musste abgekühlt werden in der Spree.

Im nächsten Gedicht ist das Paar eingekeilt in eine 25 Quadratmeter große Kabine; was sich nicht nebenher erledigen lässt, muss man aufeinanderliegend bewältigen.
Als obligater lyrischer Vogel stellt sich schließlich ein Rabe zur Verfügung. (39)

„Play play play“ heißt es im Mittelteil, und der heftige Spielaufruf erinnert ein wenig an Schaltknöpfe von Wiedergabegeräten, wo Musik und Spiel im Dauerbetrieb abgerufen werden. In der Liebe gleicht diese Phase jener realistischen Verträumtheit, in der es wie geschmiert läuft, jedoch die ersten Haarrisse der Trennung auftreten. „* / schlag doch auch mal (etwas vor) / süßholzgeraspel zwischen brückenpfeilern / … / ich kann die sternbilder nicht zuordnen / kannst du mir bitte noch einmal / mmmm erklären“ (51)

Das Verhältnis geht in Routine über durch „wiederholten Kontaktaustausch / Körperdatenbanken / Geschmacksrichtungsüberprüfung“. (56)

Ab „Johanna“ geht es abgeklärt bergab, könnte man flapsig sagen, das lyrische Vehikel hat die Flaps ausgefahren und setzt zum Landeanflug an.

Jetzt sind die Überraschungen dechiffriert, die Neugierde ist in passende Gefäße abgefüllt, man kommentiert die Lage wieder in Dialektsprache und greift auf Volksweisheiten und Sprüche zurück.

„frogst (ned) / wüst (ned) / lunzt (na) / umadum“ (64) Die Intimität des Dialekts geht bald in den bedrohlichen Grundton über, wie er an Stammtischen gepflegt wird. Die Distanz zum Meeresspiegel verursacht Schwindel, der Blick in die Augen löst einen kleinen Steinschlag aus, der Raureif an den Wangen verursacht Höhenfieber. (73) Die Gedichte sind zusätzlich zur Mundart in einem Erklärungsdeutsch verfasst, aber die Bilder greifen nicht mehr, drehen ins Liebes-Leere und landen im Kitsch. Das lyrische Ich versucht sich in Erklärungen physikalischer Phänomene, Bilder aus der Geologie beschreiben bloß geologische Vorgänge und sind nutzlos für die Liebe.

Jene Gedichte, die durchkommen, sind äußerlich makellos, aber sie klingen plötzlich hölzern, wenn man sie abklopft. „* / wir lieben uns libellengleich / runden uns leicht / lösen pulversäckchen ineinander / aufgebläht die gefäße / verzahnen uns“ (90) Der Witz vom Blümchensex entfaltet ironische Kräfte. Schließlich bleibt es bei unanständigen Gedanken, die als körperloses Rinnsal nicht trockenzulegen sind. (91)

Die „krötentage“ entführen die Leser aus der schön eingerichteten Sprachwohnung und führen hinaus ins Freie, während sie frische Luft zufächeln. Die Liebe wird leicht wie der berüchtigte Maiausflug. Die Hormone geben sich witzig und unterhaltsam. Und dann gehen die lyrischen Körper erfrischt zurück in ihre Sprachkabinen und nehmen eine neue Verbindung auf.

„* / krötentage / sie kriechen in scharen / verkleben alle zu- / gänge / lassen den regen über ihre / runzligweichen körper laufen“ (82)

Katharina J. Ferner, krötentage. Gedichte
Innsbruck: Limbus Verlag 2022, 92 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-219-5

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Katharina J. Ferner, krötentage
Wikipedia: Katharina J. Ferner

 

Helmuth Schönauer, 14-12-2022

Bibliographie

AutorIn

Katharina J. Ferner

Buchtitel

krötentage. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

92

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-219-5

Kurzbiographie AutorIn

Katharina J. Ferner, geb. 1991, lebt in Salzburg.