Martin G. Wanko, Eisenhagel 2 - Die Krah.
Die Genres „Krimi“ und „Provinzi“ gehen auf das gleiche Grundelement zurück. Sowohl der Kriminalroman als auch der Provinzroman sind als unendliche Geschichte angelegt, die bis zu einem Dutzend an Fällen oder Episoden verkraftet, ohne dass sich was ändert.
Martin G. Wanko macht sich abermals über „Eisenhagel“ her. Unter diesem Begriff ist ein kaputter Ort gemeint, aus dem Kohle und Eisen und wohl auch die Lebenslust abgehauen sind. Aber bei längerem Hineinlesen und Mitfiebern mit dem Ort stellt sich bald einmal heraus, dass es sich bei Eisenhagel um ein Lebensgefühl handelt, das einerseits als Musik mit der ganzen Welt in Verbindung steht und andererseits in den Verhältnissen und Beziehungen einen sehr mickrigen Mikrokosmos darstellt. Eisenhagel könnte man mit einem Seufzer beschreiben: „Jemand ist Eisenhagel-voll!“
Band zwei trägt den Titel „Die Krah“, darunter ist eine abgefackte Location im Niemandsland der Peripherie gemeint. Ein gewisser Edi erscheint aus dem Nichts und will die mittlerweile kaputte Krah gastronomisch, musikalisch und gesellschaftlich auf die Höhe bringen. Zu diesem Zweck startet er eine Werbeaktion mit Schokolade-Krähen, die aber so realistisch patisseriert sind, dass sich manche grausen.
Eine neue Location wirkt in der Provinz wie der Auftritt einer neuen Gang in der Stadt. Es kommt sofort zu Revierkämpfen und dem Abstecken der Befehlsgewalt über die öffentliche Meinung.
Die sogenannte Öffentlichkeit wird zusammengehalten durch den Brauch des Krampuslaufens, der einmal im Jahr die Menschen in Ekstase bringt und durchaus zu Todesfällen führt.
So ist im ersten Band ein gewisser Daniel „echt“ gestorben, weil er in die Auseinandersetzung zwischen Krampussen und Krampusprinzessin geraten ist. Stellenweise wirkt der Brauch wie ein verbotener Abklatsch vom Ku-Klux-Klan, nur dass der Faschismus als Musik getarnt ist, die Roben schwarz sind und die Drogen auf dem Stand der Zeit zubereitet werden.
Rund um die Prinzessin Jenny hat sich eine kleine Schutztruppe aufgebaut, die das Jahr über biederen Berufen nachgeht, einmal im Jahr jedoch entgleist. Diese Truppe besteht strikt aus vier Freunden, wiewohl im Märchenbuch von Enid Blyton immer von Fünf Freunden die Rede ist. Und seit im ersten Band Daniel gestorben ist, leckt das Freundesquartett und sucht Ersatz.
Das Problem ist, dass sich mehrere Kandidaten für diesen offenen Freundesposten interessieren, unter anderem auch der besagte Edi von der Krah.
Was in der Folge abgeht, soll man wie bei Krimis üblich nicht durch betuliches Rezensieren vorzeitig enträtseln. Der Plot ist zu einem Provinzbrei aus Musik, Drogen, Sehnsüchten und Verbindungen zur nächsten Provinzstadt geprägt. Alles, was im Netz bei Influenzern als schick gilt, wird in der Provinz nachgespielt, das Problem ist nur, dass dich niemand sieht, wenn du im Nebel der Krah schicke Drogen nimmst.
Zur Schlüsselfigur mausert sich abermals die Krankenschwester Jenny heraus, für die Scherzbolde schon eine Grabplatte entworfen haben. Jenny ist in ihrer privaten Hemisphäre von den Schattenseiten des Untergrunds beleuchtet, während sie im dienstlichen Bereich mit kaputten Bewohnern, bekifften Oberärzten, Vergewaltigungen in Hypnose und transzendenten Medikamenten zu tun hat. Dass sie und die Leser mit der Zeit nicht mehr wissen, was Trance ist und was Realität, macht den Text zu einem psychodelischen Ereignis.
Der Text tritt in der Hauptsache als gestampfter Rhythmus auf, ständig macht etwas auf Musik. – Schmerz, Glück und Wut sind musikalische Ausschläge auf einer Tonleiste. Gegliedert ist dieser Schwall durch Schlagzeilen, Refrains und Ohrenwurm-Zeilen, die auch dem Leser helfen, die Gefühlslage zu sortieren.
Und für die Dynamik des Provinzalltags, für das Scheitern der Protagonisten und zum Versickern der Überlebensenergie in einem düsteren steirischen Hersbt voller Nebel, Krähen und ausgeschlachteter Kürbishälften sind die fetten „Tätigkeitszeilen“ eingestreut, die dann auch klug die Handlung vorantreiben.
„Jenny richtet sich her“ / „Jenny ist am Ende ihrer Visite“ / „Die Eisenhagler sitzen wieder alle im Auto“. - Diese Art des Erzählens funktioniert bestens, denn der Leser wird nicht, wie so oft bei Krimis entmündigt und muss mit den Augen ausgefahrene Textschlieren abfahren, nein, bei Martin A. Wanko taucht sofort Neugierde auf, was wohl alles wieder verrückt und „ver-eisenhagelt“ wird zwischen den Handgriffen des Überlebens.
Einmal mehr wird Eisenhagel zu einem Beschreib-Ritual aufgelassener Orte, Menschen und Bräuche.
Martin G. Wanko, Eisenhagel 2. Die Krah. Ein Steiermark-Krimi
Graz: Edition Keiper 2022, 346 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-903322-67-7
Weiterführende Links:
Edition Keiper: Martin G. Wanko, Eisenhagel 2. Die Krah
Wikipedia: Martin G. Wanko
Helmuth Schönauer, 14-01-2023