C.W. Bauer, mein lieben mein hassen mein mittendrin du
Lyrik besteht einerseits aus einzelnen Gedichten, die jeweils wie ein optisches Gerät einen anderen Blick auf die Gegenwart ermöglichen, andererseits ist Lyrik ein Universum, worin die einzelnen Texte sich bis zur Größe einer Milchstraße entfalten.
Christoph W. Bauer schickt in seinem Gedichtband ?mein lieben mein hassen mein mittendrin du in einzelnen Gedichten ein lyrisches Ich auf die Reise mit und zur Geliebten, andererseits kippt er die Zeitachse, indem er nahtlos an der erotischen Lyrik Catulls ansetzt, diesen mit Zeilen aus der Gegenwart umgarnt, übersetzt, spiegelt.
Vielleicht sollte man die Gedichte in einem ersten Durchlauf als Gegenwart lesen, um dann, nach der Lektüre des aufklärenden Nachworts von Niklas Holzberg die Anspielungen auf Catull (85-55 v. Z.) zu dechiffrieren.
muss man nichts begreifen solange / ein sternbild das eigene haar sein könnte / sind verbleibende sommer nicht abzählbar (9)
Tatsächlich spielt sich eine schwere Liebesgeschichte zwischen dem lyrischen ich und der Angebeteten ab, diese Liebe ist so rasend, dass sie sich nicht an einem Ort wie Innsbruck bewältigen lässt.
ratten am inn und wie sie die büsche beleben / sie wenden das blatt das uns der abend zeilt / und wir stehen am anfang eines jahrhunderts / in dem flößer hier an land gingen [...] (27)
Das Paar bricht auf zu einer Zeitreise in die Antike, erotischer Endpunkt ist vielleicht Alexandria, wo im Weltzentrum alles Wissen und alle Gefühle zusammenlaufen. Natürlich dauert so eine Liebe nicht ewig, je mehr sie ins Ewige gesungen wird, umso irdischer hört sie auf. Fünf Frauen später trifft das lyrische Ich bewaffnet mit einem Einkaufswagen eines Einkaufszentrums wieder auf die Geliebte, alles ist verraucht, aber der Rausch der Erinnerung ist geblieben, von ihr aus gesehen fünf Männer später.
Mit dem Sound der Antike beschreibt C.W. Bauer eine überirdische Liebe, die augenzwinkernd auf ewig angelegt ist, freilich auch umkreist wird von Missstimmung und beinahe Hass, dass alles so erdgebunden gewöhnlich sein muss. Während diese handfesten Gefühle abklingen, baut sich eine mächtige lyrische Sprache auf, ok, wenn es schon nicht im Alltag funktioniert, dann wenigstens in der Zeit-ungebundenen Sprache des Gedichts. - Ernst, Ehrfurcht, Geduld stecken hinter diesen Gedichten, die dann immer wieder ausufern in Ironie und wissender Gelassenheit. Gedichte, wie eine lässige Handbewegung! - Schön.
C.W. Bauer, mein lieben mein hassen mein mittendrin du. Gedichte. Mit einem Nachwort von Niklas Holzberg
Innsbruck: Haymon 2011, 89 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-85218-697-9