Antonio Fian, Präsidentenlieder

antonio fian, präsidentenliederDie Literatur ist immer in Bewegung, sie lässt sich als solche kaum fassen, am ehesten bleibt sie in Lektüre-Reusen und an Fliegen-Ködern hängen, wenn sie nicht überhaupt ausgetrocknet ist wie viele Gewässer bei den Fischen.

Im Herbst blättern die letzten Bücher-Fans die Kataloge durch, scrollen sich durch Themenlisten und versuchen sich zurechtfinden. Während früher einmal Literatur zur Integration einer Gesellschaft geführt hat, indem man neugierig auf die Themen des anderen war, ist sie gegenwärtig vollends auf Segregation auf. Jede Klientel pflegt ihre eigene Literatur und beachtet thematische Abschweifungen höchstens unter dem Aspekt von Cancel Culture.

Die ewigen drei Themen sind auch in diesem Herbst wieder Migration, Genderei und Homicide, im Volksmund Krimi genannt.

Wer von diesen Themen genug hat, ist auch mit dem Herbstprogramm relativ rasch durch und freut sich umso mehr, wenn dann doch noch ein wundersam skurriles Buch auftaucht, das den Leser mit einem Wumms auf seinem angeschlagenen Auge trifft.

Als „Buch der Saison“ könnte durchaus Antonio Fians skurrile Reimgeschichte „Präsidentenlieder“ fungieren. Das Buch ist dünn, witzig, politisch, klar, und mit einem guten Tropfen Anarchie ausgestattet.

Der flüssige Reim zwingt zum stündigen Weiterlesen, denn man will zumindest wissen, worauf es sich zwei Zeilen unter der aktuellen reimt. „Ich weiß, es ist auf diesen Bildern / nicht alles scharf, nicht alles schön, / es ist jedoch, den will ich schildern, / der Präsident darauf gut zu sehn.“ (7)

Schon in den ersten Zeilen geht diese Magie auf, die einerseits die pädagogische Kühnheit eines Wilhelm Busch fortführt, andererseits aber ein Loch in der Logik des Dargestellten lässt, wie es Christian Morgenstern in seinem Lattenzaun mustergültig vorgeführt hat. Und Liebhaber des melancholischen Trakl sind abermals erstaunt, wie nah Antonio Fian an diesem anzustreifen vermag, ohne gleich in schmatzendes Gelächter auszubrechen. Für die Präsidentenlieder gilt: sie sind leichte schwere Kost.

„Gewaltig endet so das Jahr! / Gewaltig, echt, des Jahres End’! / Was Trakl schreibt, ist wirklich wahr! Gewaltig!“, denkt der Präsident.

Damit die Präsidentenlieder auch eine gewisse Standfestigkeit im schwankenden Wellenbad des Humors haben, sind sie wie ein Notenständer als Dreifuß ausgestaltet. Zu Beginn wird anhand eines fiktiven Fotoalbums belanglos im Zeitfluss geblättert, manches ist scharf gestellt, manches diffus, manches ist erhaben, manches sinnlos tief. Als Hauptfigur kristallisiert sich ein merkwürdiger Präsident heraus, von dem nicht klar ist, was er dienstlich tut, seine Präsidentschaft übt er nämlich nur im Familienkreis aus.

Im sogenannten präsidialen Hauptteil sind 45 Begebenheiten besungen, jeweils im Umfang von drei, vier Strophen, egal ob um es um das Wetter oder Katzenfutter geht. Den alltäglichen Petitessen wohnt allerdings ein großer kultureller Sinn inne, denn in das Katzenfutter ist ein Zitat eingestreut, in die Zeitungsnotiz ein Vers, das Öffnen eines Fensterflügels kann einen musikalischen Flügel zum Wirken bringen. Und selbst der Geschlechtsverkehr gerät zum Kunstwerk, indem Präsident und Gemahlin klug die Pausen einhalten, die im Kinderzimmer entstehen, wenn die Kids auf die Geräusche der Genitalbenutzer hören. (30)

Das Wesen des Witzes ist genauso eine abendfüllende Analyse wert, wie der Unterschied von Nizon und Johnson, die sich in ihren Aufmachungen als Suhrkamp-Taschenbücher erstaunlich ähnlich sind.

Der Präsident dichtet zwischendurch, hält es aber nicht für bedeutsam, im Gegenteil, aus Scham über seine Liedtexte summt er manchmal Schubert, um alles zu vergessen.

Die letzte Episode erinnert an den Abgang des fliegenden Robert, der sich im „Struwwelpeter“ mit einem Regenschirm in die Witterung des Klimawandels hinauswagt und dabei prompt aus dem Buch hinaus geweht wird.

Im Falle des Präsidenten kommt seine grüne Ader anhand seines Fahrrads zum Vorschein: „Der Präsident besteigt sein Fahrrad / und ruft: Ich fahr ein bisschen aus. / Die Gattin warnt vor der Gefahr ‚Grad / heut’ bleib, Präsident zu Haus.‘ […] Und er fährt los. Die Kinder singen. / Die Gattin spricht noch ein Gedicht. / Was wird dieser Tag ihm bringen? / Kehrt er wieder oder nicht.“ (55)

Den Abspann bildet eine traurige Geschichte „Des Präsidenten und seiner Familie Reise nach Malta“. Glück und Unglück liegen nah beieinander. Auf dem Weg nach Malta freuen sich alle auf ein Urlaubsgefühl mit Insel und Meer, aber der Präsident versteht wegen seiner Kärntner Herkunft unter Malta ein Stück Staumauer aus seiner Heimat. Die Familie besucht tapfer den Kärntner Stausee und ringt dem Präsidenten das Versprechen ab, nächstes Jahr an ein echtes Meer zu fahren.

Antonio Fian reagiert mit Sarkasmus und Präsidentenliedern auf den Zustand Österreichs, seiner Literatur und Politik. Das einzige Kriterium für Handeln in diesen Bereichen ist ein schöner Reim, den man sich drauf machen kann. – Wenn man dieses präsidiale Monsterwerk gelesen hat, ist der Lektüre-Herbst wahrscheinlich für heuer gegessen. Es gibt nichts, was dieses Buch zeitnah übertreffen könnte! „Der Präsident ist hintersinnig, / ernst und schweigsam sitzt er da. / Die Gattin blickt auf ihn ganz innig. / Nur selten war er ihr so nah.“ (25)

Antonio Fian, Präsidentenlieder. Gedichte
Graz: Droschl Verlag 2023, 68 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-99059-142-0

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Antonio Fian, Präsidentenlieder
Wikipedia: Antonio Fian

 

Helmuth Schönauer, 20-08-2023

Bibliographie

AutorIn

Antonio Fian

Buchtitel

Präsidentenlieder. Gedichte

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

68

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-99059-142-0

Kurzbiographie AutorIn

Antonio Fian, geb. 1956 in Klagenfurt, lebt seit 1976 in Wien.