Gerhard Ruiss / Klaus Zeyringer, Reimverbote und andere Schreibaufträge

gerhard ruiss, reimverbote und andere schreibaufträge„Wenn etwas zum Ausdruck gebracht werden muss, lässt es sich weder durch Vermeidungen umgehen noch durch Umgehungen vermeiden.“ Gerhard Ruiss und Klaus Zeyringer arbeiten seit einem Vierteljahrhundert „so nebenher“ an der Beobachtung jener Widerstandsliteratur, die als Myzel unterhalb des öffentlichen Literaturbetriebs ausschweift und fallweise als Fruchtkörper aufschießt.

Eine Besonderheit dieser Literatur ist es, dass sie scheinbar ohne Sinn jäh auftaucht und bei Usern und Produzierenden große Freude auslöst. Vor allem die Sinnhaftigkeit macht allen Beteiligten großen Spaß, denn mit den „Reimverboten“ wird nicht nur groteske Literatur zum Leben erweckt, sondern hinterher auch noch mit einem Sinn ausgestattet.

Die beiden Autoren wissen aus lebenslanger Berufserfahrung als Interessenvertreter und Kritiker des Literaturbetriebs, dass nichts auf den Merkt darf, was nicht einen geheimen Sinn hätte. Sonst wäre es ja DADA, und dieses Genre leidet schon seit einem Jahrhundert darunter, dass ihm ständig Sinn verpasst wird.

Die Gedichte kommen daher völlig harmlos mit Andockstellen zur Deutung daher. Und wäre nicht ein raffiniertes Vorwort voller Überraschungen beigefügt, würde sich niemand tiefer gelegte Gedanken über diese Lyrik machen.

„dichterschmalz // schließ das gatter / hol das holz / trags mit fassung / zünds an voll stolz / gott erhalts // fast nicht gewollt.“ (34)

Das Projekt „Reimverbote“ geht auf einen zwanzigjährigen Prozess zurück, wobei der Literaturkritiker Klaus Zeyringer dem Literaturfunktionär Gerhard Ruiss regelmäßig Schreibaufträge übermittelt. Beide sind zudem ausgewiesene Sachbuch- und Poesie-Autoren, sodass die Grenze zwischen Arbeitsauftrag und poetische Gestaltung höchst durchlässig ist.

Die Reimaufträge bestehen meist aus straffen Wörtern, die von einem durch Lektüre antrainierten Sprachprogramm auf Reim-Tauglichkeit getestet worden sind. Zufall und individuelle Kreativität lassen sich nicht voneinander trennen.

„Küssen / müssen / Flüssen“ (2007) // „Bart / wart / Tracht / wacht / Tirol / wohl / Süd / müd“, leichte Fingerübung (2011) // „Diese Regierung ist alternativlos“, nach Wilfried Haslauer, Landeshauptmann von Salzburg (2018) // „Was wuchs?“, Personen-Kreuzreim (2019)

Den Schlüsselwörtern sind bei Bedarf Hinweise auf die Verfahrensweise angefügt, und hier zeigt sich ein literarisches Paradoxon: Je genauer der Sachverhalt austariert ist, umso weitläufiger reagiert die Literatur darauf.

So entsteht bei den Lesern der nicht unerwünschte Eindruck, dass eine sogenannte Fingerübung literarisch den gleichen Stellenwert einnimmt wie die Bildung einer Regierung.

In der Funktion eines Poeten und Liedermachers reagiert Gerhard Ruiss auf diese Vorgabe, und baut Thema, Medium, Zeit und Zeitgefühl in das Gedicht ein.

„kassiber // alte kassavettel / sing dein dudijödel / nimm statt meiner an / hier dein schreibauftrag: […]“ (99)

Die flächendeckende Einführung der Kassabons in Österreich führt zu einer Literarisierung des Geschäftsvorgangs mit kleinen Dingen. Während die Semmel womöglich schon längst in Ausscheidung übergegangen ist, liegt ihr Kassabon noch immer in der Hand des Poeten und wird durch Umwandlung in ein Gedicht quasi unsterblich.

Ähnliches Vorgehen ermöglichen Servietten, die ein Geschäftsessen durch Wegwischen der Spuren beseitigen, es sei denn, sie werden zuvor noch mit einem Gedicht behaftet.

Und wer kennt nicht Steuererklärungen am Bierdeckel, Theaterspielpläne auf Taschentücher und Nachruf-Entwürfe am Handy.

Neben diesen fundierten Überlegungen, wie Alltagsgegenstände zu Datenträgern werden können, Verbote zu Animationsstücken und Unterhaltungen zu Dokumenten, kommt noch ein verrückter Gedanke ins Spiel.

Was ist, wenn Meta- und Grund-Texte vertauscht sind? Kann Auftragsprosa vielleicht jene Poesie sein, die in der ausgewiesenen Poesie unerreichbar bleibt? Und was geschieht eigentlich mit dem Literaturbetrieb, wenn sich Literatur als großes Vergnügen für die Schreibenden, aber nicht für die Lesenden herausstellen sollte.

Die beiden Autoren sind durch ihre Berufserfahrung ausreichend gefestigt, dass sie diese Umdrehung der Verhältnisse aushalten. Und die Lesenden greifen sich erfreut an den Kopf und lesen die Gedichte mit dem subversiven Willen, geheime Aufträge im Text ausfindig zu machen. Eine getarnte Verschwörungslektüre gewissermaßen, die in Groteske und Gelächter ausufert.

Gerhard Ruiss / Klaus Zeyringer, Reimverbote und andere Schreibaufträge. Gedichte
Graz: edition keiper 2024, 159 Seiten, 23,00 €, ISBN 978-3-903575-15-8

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Gerhard Ruiss / Klaus Zeyringer, Reimverbote und andere Schreibaufträge
Wikipedia: Gerhard Ruiss
Wikipedia: Klaus Zeyringer

 

Helmuth Schönauer, 15-03-2024

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Ruiss / Klaus Zeyringer

Buchtitel

Reimverbote und andere Schreibaufträge. Gedichte

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2024

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

159

Preis in EUR

23,00

ISBN

978-3-903575-15-8

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Ruiss, geb. 1951 in Ziersdorf (NÖ), lebt in Wien.

Klaus Zeyringer, geb. 1953 in Graz, lebt in Pöllau (Stmk.).