Jörg Piringer, fünf minuten in die zukunft

jörg piringer, fünf minuten in die zukunftDer Ausblick ist gebremst optimistisch, wenn sich jemand nur kurz in der Zukunft aufhalten möchte. Die „fünf Minuten in der Zukunft“ erinnern an das klassische „nach zwölf“, wo alles schon zu spät ist. Andererseits sind diese paar Minuten höchstens eine Art Probe-Abo, das man sich kurz anschaut, ohne mit voller Kraft in die Zukunft zu schreiten.

Jörg Piringer versucht mit den Mitteln von abgebrühter Lyrik und innovativer Graphik-Software ein paar Augenblicke lang in die Zukunft zu schauen. Dabei wird die Gegenwart standfest gemacht, damit man das lyrische Personal mit dem Spielbein ein wenig ins Ungewisse hineintappen lassen kann.

Dominanter Eindruck ist das Wechselspiel von konventionell komponiertem Textbild mit Versen, Leerzeilen und Flattersatz und graphischen Strukturen, die am ehesten mit versteinerten Digital-Skeletten zu vergleichen sind.

Das Verhältnis „Zeichen“ und „Text“ ist anfänglich noch sauber getrennt, allmählich unterwandert die Bildstruktur die Gedichte, und an ausgewählten Knoten der Kumulation gehen Zeilen und Zeichenstränge fließend in einander über. Als Beispiel für eine solche „Ineinander Graphik“ beginnt das Schaubild mit der unterbrochenen Zeile „das mögen als institution verkaufe […]“ und setzt dann als Darm-ähnliche Gravur fort. (42)
Auch wenn vieles für die Zukunft nicht bestimmbar ist, so scheint doch das Geld ein Kitt zu sein, der die Gegenwart mit dem Futur zusammenklebt. Als Präambel springt das Geld-Gedicht gleich nach dem Aufschlagen des Buches der Leserschaft entgegen.

das geld / das mir bei meinem einkauf herausgegeben wird / glänzt am nachhauseweg in meiner hand / bronzen kupfern papieren (6)

Das lyrische Ich evoziert einen handfesten Schatz aus der Kindheit, wenn nicht gar aus archäologisch Zeiten, als die Münze an sich den Wert darstellt, weil es mit keiner Werthaltigkeit in Verbindung steht. Gut möglich, dass dieses „Münzige“ des Geldes in die Zukunft hineinrutscht und digitale und andere Währungen unterwandert. Die Unbestimmte ist in diesem Bild jedenfalls etwas Haptisches.

In der Folge wird in den Texten hochgerechnet, wie sich Motive künftig bewähren könnten. Eine Möglichkeit ist die Sondergenehmigung, mit der verbotene Gedichte zugelassen werden, ähnlich dem Sonntagsfahrverbot in der Kindheit, als der Sinn der Mobilität in seiner Ausnahmegenehmigung gelegen hat.

Unter der lakonischen Bezeichnung „wörter“ (13) ist ein lyrisches Inventar angelegt, das nach konventioneller Manier brauchbare Komposita für noch nicht eingetretene Sachverhalte vorstellt. Beispiele sind Amoklaufraketen / Hilferufroboter / Realitätsfälschungsarche / Gleichheitsduscher. Die Wörter lassen sich im privaten, öffentlichen und virtuellen Raum verwenden.

Das lyrische Ich verschwindet zwischendurch, versucht romantisch winterlich und unsichtbar zu werden. „im schnee gegangen / drei stunden / und kein einziges foto gemacht“ (25) An anderer Stelle taucht es unvermutet auf:

das was wie eine geste wirkt / das was dir wie ein satz vorkommt: / das bin ich (37)

Die eingesetzten Betriebsmittel, um damit für fünf Minuten die Zukunft zu bestreiten, sind variantenreich. Sie reichen von kleinen Hörfehlern „sichere trittstaaten“ (27), über „die beschriftung der welt“ (49) bis hin zur Gebrauchsanweisung „die schere nehmen / und den text absch“ (53).

Die Beschreibung der Zeichen und Dynamiken erweitert im gleichen Maße die semantischen „Schmiermittel“ wie es sonst die puren Textzeilen tun. Das Signal für „Fakt“ wird graphisch so lange gewaschen und geätzt, bis auf seiner Druckerplatte das Wort „Fake“ (57) zu lesen ist. Auch hier ist ein Vorgang in futuro mit den visuellen Mitteln vergangener Zeiten in Szene gesetzt.

Neben einem Hologramm, ähnlich einem Schwarzen Loch, schält sich ein kleines Lied hervor, das dem Firmament Struktur verleiht. „ein zwei jets / vom himmel / ein gewaltiges loch / stellt vor ein rätsel / das ende der welt / noch immer unauffindbar“ (74)

Den Abschluss bilden visuelle Bilder in Textform, die mit der Schlusssequenz in ein apokryphes Sternbild übergehen.

Jörg Piringer stimuliert die beiden Wirkkräfte Romantik und Programmatik in einem permanenten Prozess, die Gedichte setzt er seiner eigenen Software aus, die Software kommandiert er mit romantischen Befehlen. Die fünf Minuten wirken anregend und ermunternd, vielleicht müssen wir gar nicht Angst haben um die Zukunft unserer Gedichte.

Jörg Piringer, fünf minuten in die zukunft. Gedichte, Textbilder mit Software des Autors
Innsbruck: Limbus Verlag 2024, 96 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-250-8

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Jörg Piringer, fünf minuten in die zukunft
Wikipedia: Jörg Piringer vorh.

 

Helmuth Schönauer, 14-05-2024

Bibliographie

AutorIn

Jörg Piringer

Buchtitel

fünf minuten in die zukunft. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2024

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

96

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-250-8

Kurzbiographie AutorIn

Jörg Piringer, geb. 1974 in Wien, lebt in Wien.