Martin Maier, Geht auch anders

h.schoenauer - 09.03.2025

martin maier, geht auch andersDie meisten Weisheiten zum Alltag sind so unauffällig formuliert, dass man sich zwar an sie hält, aber kaum als Literatur oder Lebenskunst wahrnimmt.

Martin Maier geht in seinem Alltags-Vademecum „Geht auch anders“ diesen scheinbar über-vernünftigen lapidaren Erkenntnissen mit einem grotesken Lebensbüchlein nach. Darin formuliert ein „Held ohne Eigenschaften“ in einer Art öffentlichem Selbstgespräch bemerkenswerte Einschätzungen zu jener Lage, in die ein Durchschnittsmensch täglich versetzt wird, sobald er nachzudenken anfängt.

Dieser in schrillem Grün gehaltene Band lässt sich als Teil einer kafkaesken Trilogie lesen und rundet die Bände „Oder so“ (2022) und „Engstelle“ (2023) zu einem beinahe magischen Bermuda-Dreieck imposanter Gedächtnis-Spitzen ab.

Der Faden durch das Erzählwerk an Miniaturen ist gekennzeichnet dadurch, dass er ständig abreißt. Ein Schlüsselelement für das kaputte Orientierungsgefühl ist eine Beeinträchtigung des Gehwerkzeugs. Zuerst wird der Körper in seiner Mobilität eingebremst, stracks darauf beginnt auch der Geist, sich seltsam zu winden und durch jähes Dickicht zu arbeiten.

Als prägnante Metapher für diesen Zustand taucht das „Schuh aufblasen“ auf, eine Fügung, die vergebliche Kontaktaufnahme beschreibt, indem ein Symptom mit falsche Mitteln bekämpft wird.

„Wenn dein Knie nicht mehr mitspielt, suche dir eine neues oder höre auf zu spielen.“ (5)

Manche dieser Grotesken werden mit dem Maßnahmenkatalog der skurrilen Logik einer Lösung zugeführt, wie sie in der DADA-Bewegung üblich ist, oder in der asiatischen Kunst, Koans zu formulieren. Problem und Problemlösung haben scheinbar nichts miteinander zu tun, und wenn, unterliegen sie einer zufälligen Kausalität. Ein literarischer Physiker würde vielleicht von Quanten-Literatur sprechen, wenn literarische Operation und Ergebnis nichts miteinander zu tun haben.

In dieser Welt scheinbar jenseits der physikalischen Gesetze gibt es plötzlich eine Gebrauchsanweisung für Helden, die ungezügelt brennendem Badewasser ausgesetzt sind.

Literarisch lässt sich diese groteske Fokussierung auf die Welt mit der berühmten Ansprache Muhammad Alis vergleichen. „Ich habe dem Blitz Handschellen angelegt und den Donner eingekerkert. Ich bin so böse, dass ich Medizin krank mache.“ ( Mohammad Ali, Rumble in the Jungle,)

Der Held im Alternativkosmos „Geht auch anders“ ist freilich mit Unbilden in Reichweite eines Boxers konfrontiert, die es zu bewältigen gilt. Manchmal gleicht die Gegenmaßnahme dem entgleisten Fuchteln eines Charlie Chaplins, wenn er die Tücke des Objekts zu überwinden versucht. Es gilt „einen Nagel in die Luft zu schlagen“. (17)

Längeren Sequenzen im Umfang einer Glosse liegt oft der prägnante Duktus einer angesprochenen Amtsperson zugrunde. In der Story vom „Kulturreferenten“ versagt dieser auf offener Bühne, weil er den eingehenden Förderansuchen prekärer Künstler nicht gewachsen ist. Als spontane Maßnahme bietet sich ein Ritual an: „Kaugummi grillen.“ (45)

Beim ersten Lesedurchgang und Durchschütteln des Buches fallen aus lese-physikalischen Gründen naturgemäß die kurzen Stoßsätze auf und aus dem Text heraus.

- Wenn du dich selbst nicht riechen kannst, probier es bei jemand anderem. (65)
- Wer Äpfel stiehlt, sollte sich vor Birnen hüten. (67)
- Wenn dir alles zu viel wird, begnüge dich mit weniger. (69)

Diese Sprüche lassen sich soziologisch, schelmisch und süffisant lesen. Die Richtung gibt der Lesende vor, der Held stellt nur einen Entwurf zur Verfügung und überlässt es wie der Hofnarr der über die Meinung herrschenden Person, die Wahrheit auszuhalten oder nicht.

Nach dieser Lesart erschließt sich das freche Büchlein in Art von Märchen. Um jede Behauptung lässt sich nämlich ein entsprechendes vertrautes Märchenbild inszenieren.

Das Konvolut der Alternativen geistert mit der Sage von Rübezahl aus. Ein Betrunkener und ein Nüchterner diskutieren darüber, ob Rübezahl ein Mensch gewesen sei. Immerhin habe er sich auf den Beinen gehalten, meint der Betrunkene, während der Nüchterne schließlich weitergeht. Auch in dieser Story zeigt sich, wie wichtig das Gehwerkzeug für das Denken ist.

Martin Maiers „Geht auch anders“ ist auf jeden Fall ein Trost-Büchlein. Denn wie skeptisch man auch an die Episoden herangeht, die Sätze ziehen einen immer auf die sonnige Seite, wo jeden Tag das Seufzen in Schmunzeln übergeht.

Martin Maier, Geht auch anders
St. Wolfgang: edition art science 2024, 107 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-903335-37-0

 

Weiterführende Links:
edition art science: Martin Maier, Geht auch anders

 

Helmuth Schönauer, 19-11-2024

Bibliographie
Autor/Autorin:
Martin Maier
Buchtitel:
Geht auch anders
Erscheinungsort:
St. Wolfgang
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
edition art science
Seitenzahl:
107
Preis in EUR:
15,00
ISBN:
978-3-903335-37-0
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Martin Maier, geb. 1962 in Schwaz, lebt in Innsbruck.