Florian Neuner, Die endgültige Totalverramschung

h.schoenauer - 16.03.2025

Florian Neuner, Die endgültige TotalverramschungDer Höhepunkt an literarischer Lieblosigkeit wird oft als Ramsch zusammengefasst. Dieser zeigt sich als monotone Talk-Sendung, wenn im Sitzkreis Sätze über Buchcovers ausgespuckt werden, die man schlampig in die Kamera hält. Er zeigt sich als gigantische Schütten, die in den Eingangsbereichen von Buchhandelsketten ausgelegt sind. Und der Ramsch steckt schließlich auch in jenen versiegelten Thementaschen, die zur Zentralmatura in Deutsch österreichweit aufgerissen werden, um mit vorgefertigten Satzmodulen eine KI-generierte Zusammenfassung der Einheitsmeinung zu provozieren.

Florian Neuner liefert mit dem Genre „Ungekürzte Ausgabe“ das volle Programm an Totalverramschung ab. Seinen Text könnte man als ultimativen Roman lesen, worin alle erdenklichen Floskeln zusammengetragen sind. Es könnte sich aber auch um einen Schelmenroman handeln, in dem die Literatur als Heldin sich selbst auf die Schaufel nimmt. Und für seriös angehauchte Gemüter ist dieses „Erzählprojekt“ eine raffinierte Kritik am Literaturbetrieb, wie Paul Pechmann im Vorwort erläutert.

Das Buch ist aufgebaut wie eine Schreibwerkstatt für beliebige Texte. Die drei Kapitel stellen das notwendige Material für eine sinnbefreite Unterhaltung dar, als die Literatur mittlerweile praktiziert wird.

Das Inhaltsverzeichnis liest sich als Schmierzettel für eine groteske Schule der Dichtung, und wenn man in bewährter Weise die Anfangssätze jedes Kapitel herausstreicht, hat man das Handbuch der Totalverramschung nicht nur profund gelesen, sondern auch perfekt in die eigene Lektürepsyche eingebaut.

Die Totalverramschung als Lektüre-Inhalation:
[...]
I. Handlung //
Ramsch / Nach der Affäre mit einem verheirateten Mann nimmt sich die erfolgreiche Schauspielerin, die eigentlich in einem preisträchtigen Kostümfilm als Isabella I. von Kastilien vor der Kamera stehen sollte, eine Auszeit in Hamburg. Als sie kurz darauf schwanger wird, beginnt sie eine analytische Psychotherapie. (15)

Charme / Bis dahin mussten 47 Jahre vergehen. Aber noch haben wir es in der Hand. Eine junge Frau entsteigt dem Kofferraum. (27)

Marsch! / Alle Hoffnung auf Sinn ist vergeblich. Einen 15-jährigen Schiffsjungen langweilt das Leben in der kleinen Stadt. Ein spießiges Paar vertreibt sich die Langeweile durch Geisterbeschwörung. (43)

II. Figurenrede //
Scham / „Alles hat sich verändert.“ Sagte er & suchte etwas auf einem Regal. (57)
Rasch! / „Ich hoffe, du kannst gescheit saufen!“ Rief der Schweizer & hob dramatisch die Arme. (69)

III. Beschreibung //
Arsch / ein schwacher, beinahe Übelkeit erregender Geruch nach Essen (95)
[...]

Indem die Totalverramschung scheinbar auf wenige Kernsätze eingedampft wird, entfaltet sie ungebremstes Wachstum des Erzählens. Denn die einzelnen Sätze bilden nach dem Hydraprinzip ununterbrochen kopflose Fügungen aus dem Satzkorpus und verschaffen dadurch dem Text ungebremste literarische Prosperität.

Die Theorie dieses explodierenden Trashs ist schließlich in zwei Postskripten verpackt.
Im ersten PS werden unter anderem drei Theoretiker des trashigen Erzählens angepeilt und zur Spende eines Zitats animiert.

Chris Bezzel: Der Roman ist primitiv, er ist die Akkumulation von Teilen.
Alexander Kluge: Das lineare Erzählen ist eine Ausnahme und eine Erfindung des 19. Jhds.
Christian Steinbacher: Die Neuverknüpfung der Fragmentteile entstellt Klischees zur Kenntlichkeit und schafft Sinngewinn durch Unfug.

Im zweiten PS wird darauf hingewiesen, dass der Roman in der hier publizierten Form selbst das Ergebnis von Zufällen und weit verstreuten Editionsmaßnahmen ist. Die Partikel sind als Erzählteile in den Literaturmarkt gesprayt worden und werden mit dem aktuellen Kompendium zu einem neuen Projekt zusammengewischt.

So ist das Vorwort von Paul Pechmann deshalb so überzeugend, weil es einst als Baustein für eine türkische Ausgabe konzipiert worden ist.

Florian Neuner sprüht und sprayt, was das Material hergibt. Zwischen Originaltext, Kopie und Mutation ist kein Unterschied. So wird auch jegliche Rezension über sein Buch zu einem Ramsch, sobald sie der Autor zu sehen bekommt.

Florian Neuner, Die endgültige Totalverramschung. Ungekürzte Ausgabe, mit einem Vorwort von Paul Pechmann
Klagenfurt: Ritter Verlag 2024, 119 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-85415-678-9

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Florian Neuner, Die endgültige Totalverramschung
Wikipedia: Florian Neuner

 

Helmuth Schönauer, 10-12-2024

Bibliographie
Autor/Autorin:
Florian Neuner
Buchtitel:
Die endgültige Totalverramschung
Erscheinungsort:
Klagenfurt
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
Ritter Verlag
Seitenzahl:
119
Preis in EUR:
15,00
ISBN:
978-3-85415-678-9
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Florian Neuner, geb. 1972 in Wels, lebt in Berlin und Wien.