„Ob es eine ‚grammatisch männliche Personenbezeichnung‘ gibt, ob Genus überhaupt etwas mit Sexus zu tun hat, und wenn ja, in welcher Weise, ob nur eine sprachhistorisch veraltete, in der Gegenwart missverständliche Benennung grammatisches Geschlecht aus der protowissenschaftlichen Zeit der Grammatikbeschreibung des Deutschen zu weitreichenden, gesellschaftlich polarisierenden Irrtümern führt, ist dabei die Frage. Die folgende Darstellung geht in ihrem Verlauf darauf ein.“ (S. 10)
Die Diskussion rund um das „genderneutrale Maskulinum“ der deutschen Sprache in der Gegenwart hat mittlerweile, über das akademische Milieu hinaus, in breiten Teilen der Gesellschaft ein Echo gefunden. Ursache dafür dürften die damit verbundenen gesellschaftspolitischen Forderungen sein, die zunehmend kontrovers und emotional diskutiert werden.
In dreizehn Kapiteln geht der Sprachwissenschaftler Eckhard Meinecke der Frage nach der gegenwärtigen Diskussion rund um das genderneutrale Maskulinum nach und unterscheidet dabei zwischen vier grundlegenden Ebenen, dem lexikalischen Geschlecht, den gesellschaftlich geltenden Gendervorstellungen, dem semantischen Geschlecht und dem grammatischen Geschlecht. Um das genderneutrale Maskulinum in richtiger Weise verstehen zu wollen, muss zunächst mit Hilfe einer kleinen gedanklichen Abstraktion davon abgesehen werden, dass Wörter wie Mieter, Leser, Chef, Arzt u.a. Maskulina sind, die sich in bestimmten Kontexten auf männliche Personen beziehen.
Nach der Einleitung steht zunächst die Auseinandersetzung mit dem Epikoinon im Zentrum, ein Nomen, das sich auf Lebewesen bezieht und unabhängig von seiner Genus-Markierung sowohl männliche als auch weibliche Personen oder Tiere bezeichnen kann, wie z.B. der Mensch, das Genie, der Adler, die Katze etc.
Das folgende Kapitel „Das genderneutrale Maskulinum“ zeigt zunächst auf, dass das morphologisch unmarkierte Maskulinum kann geschlechtsübergreifend und, wenn es das Sem „männlich“ aufweist, geschlechtsspezifisch auftreten. Dabei werden unterschiedliche Blickwinkel und Positionen aufgezeigt und kritisiert, bei der grammatisch getriggerte Assoziationen gegen die Kognition und die Ebene lexikalischer Bedeutung ausgespielt werden.
Die weiteren Kapitel setzen sich gezielt mit den verschiedenen Positionen zur „Diskussion der Indikationslosigkeit des Genus genderneutraler Maskulia“ ihren widersprüchlichen Argumentationen sowie verschiedenen Aspekten der Sprachpolitik, die einen Sprachwandel fordern. Dabei kommen Sprachkonstruktionen ebenso zur Sprache wie sprachideologische Register, deren gruppenpsychologische Funktionalität und die funktionalen Konsequenzen gendersensitiver Sprechweise.
In weiterer Folge werden die Ursprünge feministischer Linguistik näher beleuchtet, ihre Anfänge und Grundlagen, psycholinguistische Assoziationstest, Argumentationen mit stilistischen und moralischen Kriterien sowie Argumente aus der Sprachgeschichte und aus der Grammatiktradition.
Weitere Themen sind die „sexualisierte Genustheorie“, die Entstehung und Funktion des Genus sowie der Vergleich mit verwandten und nichtverwandten Sprachen. Die abschließenden Kapitel nehmen die gesellschaftspolitische Diskussion über die „geschlechtergerechte Sprache als Gleichstellungsinstrument“, parteipolitische Bezüge zur Diskussion sowie Immunisierungsstrategien von Vertretern einer feminismusgeleiteten Linguistik.
Eckhard Meineke setzt sich auf historischer, grammatikalischer und linguistischer Ebene mit einer in der Gegenwart in breiten öffentlichen Kreisen diskutierten feministischen Linguistik auseinander, die davon ausgeht, dass die Verwendung des genderneutralen Maskulinums Frauen unsichtbar mache. Durch eine gegenderte Sprache soll die gesellschaftliche und soziale Diskriminierung von Frauen und heute auch diversen Personen verbessert werden.
Mit viel Fachwissen und Details geht Meinecke auf den verschiedensten Ebenen der Sprachwissenschaft der Entwicklung und Verwendung des genderneutralen Maskulinums nach und zeigt die grundsätzlichen Missverständnisse und Fehlinterpretationen wie z.B. die Verwechslung von Genus und Sexus auf. Daneben werden aber auch die gesellschaftspolitischen und ideologischen Hintergründe erläutert, welche die gegenwärtige Diskussion rund um eine sogenannten „gendergerechte Sprache“ antreiben und in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu beobachten sind. Dabei wird vor allem der Versuch, Änderungen im Sprachgebrauch von oben nach unten dekretieren zu wollen, kritisch betrachten
Ein überaus informatives und detailliertes Sachbuch, das durch seine klare und ruhige Sprache und fundiertes Sachwissen ebenso zu überzeugen, wie durch seine klare Struktur und die Fähigkeit, komplexe Fragen und Inhalte verständlich und nachvollziehbar zu vermitteln weiß.
Eckhard Meineke, Studien zum genderneutralen Maskulinum
Heidelberg: Universitätsverlag Winter Heidelberg 2023, 358 Seiten, 37,10 €, ISBN 978-3-8253-9505-6
Weiterführende Links:
Universitätsverlag Winter Heidelberg: Eckhard Meineke, Studien zum genderneutralen Maskulinum
Wikipedia: Eckhard Meineke
Andreas Markt-Huter, 04-02-2025