Das Ende des 2. Weltkriegs im Spiegel österreichischer Zeitungen, Teil 1

Andreas Markt-Huter - 01.05.2025

KriegsendeDas Jahr 2025 zeigt sich, speziell für Österreich, als besonderes Jahr der Gedenktage. So jährt sich am 8. Mai zum 80. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Die Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1945 sowie das Ende der Besatzungszeit und die Unabhängigkeit Österreichs am 26. Oktober 1945 feiern ihr 70. Jubiläum. Grund genug das Ende des Krieges in Österreich und Europa anhand von historischen Zeitungsquellen Revue passieren zu lassen.

Die Originalquellen bieten dazu einen interessanten Einblick in die Stimmungslage aber auch in die Rolle der Medien, dem Lesepublikum eine bestimmte Sicht auf die Wirklichkeit zu vermitteln. Dies kommt besonders deutlich in den Zeitungsmeldungen kurz vor Ende des 2. Weltkriegs zum Ausdruck, wo die Zeitungen noch ganz unter dem politischen Einfluss der NS-Machthaber eine ideologisch geprägte Sicht der Wirklichkeit vermitteln.

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Die Zeitungen der 1. Republik bis in die beginnende 2. Republik verwendeten meist die damals gängigen Frakturschrift, bei der es sich um eine Druckschrift handelt, die im deutschen Sprachraum vom 16. Jahrhundert bis ca. 1940 in unterschiedlichen Varianten verwendet wurde. Entwickelt hat sich die Schrift aus der seit dem 12. Jahrhundert verwendeten gotischen Buchschrift.

Mit ein wenig Übung lässt sich die ungewohnte Schrift relativ rasch lesen und die Dokumente erwecken die Stimmung, das Denken und die Sprache der damaligen Zeit wieder zum Leben. Das im Bild vorgestellte Alphabet in Frakturschrift soll beim Einstieg in das Lesen historischer Dokumente behilflich sein.

Viele Buchstaben der Fraktura-Schrift sind den lateinischen Buchstaben sehr ähnlich. Beachten sollte man den kleinen Unterschied zwischen dem kleinen f und dem langen s (rechts neben dem kleinen s). Beim f ist der Querstrich ein wenig links und vor allem rechts, beim langen s hingegen nur links.

Frakturschrift GroßFrakturschrift klein

Am 29. März.1945 überschritten die erste Truppen der Roten Armee die österreichische Grenze bei Klostermarienberg in Burgenland. Damit war der Krieg endgültig auf österreichischem Boden angekommen, ein Umstand, der in den in Österreich erschienenen Medien bewusst verschwiegen wird, um den Glauben der Bevölkerung an einen Sieg des Deutschen Reichs aufrechtzuerhalten. Stattdessen berichtet z.B. die „Kleine Wiener Kriegszeitung“ am 30. März 1945 , dass auf der Konferenz von San Franzisco die Konflikte zwischen den Alliierten immer stärker würden und dass Deutschland noch weit entfernt von einer Niederlage sei. Neben der Verbreitung von Siegeshoffnung wird aber auch ein Angstszenario bei einer Niederlage verbreitet, wie im Beitrag „Teuflische Pläne mit deutschen Soldaten – 12 Millionen Sklaven für die Sowjets / keine Heimkehr Gefangener“ zu lesen ist. Zur Ablenkung vom Krieg finden sich Sportnachrichten, ein Bericht über eine Feierabendstunde der NSDAP sowie der Kulturbeitrag „Der schlechte Tänzer Mozart“.

Kleine Wiener Zeitung

Kleine Wiener Kriegszeitung, 30. März 1945, S. 1

 

Die Innsbrucker Nachrichten vom 30. März 1945 berichten von Kämpfen in Deutschland, wo die Vorstöße Alliierter Truppen abgewehrt worden seien, während die russischen Angriffe in Nordwest Ungarn aufgehalten werden konnten. Auch hier findet sich keine Rede von russischen Truppen auf österreichischem Gebiet. Zur emotionalen Entspannung der besorgten Bevölkerung“ soll die Erzählung „Die gläserne Schusterkugel“ den Krieg vergessen lassen. Die Innsbruck Nachrichten fungieren offiziell als „Parteiamtliches Organ der NSDAP. Gau Tirol-Vorarlberg“.

Sowohl die Innsbrucker Nachrichten als auch das „Vorarlberger Tagblatt“, „Das Neue Wiener Tagblatt“, die „Oberdonau-Zeitung“, die „Salzburger Zeitung“ oder das NS-Kampfblatt „Völkischer Beobachter“ sind auf zwei Seiten beschränkt. Die „kleine Wiener Kriegszeitung“ die die aus den Zeitungen „Wiener Kronenzeitung“, „Kleine Volkszeitung“, „das kleine Blatt“ und „Das kleine Volksblatt“ zusammengesetzt war, umfasste zumindest vier Seiten.

Knapp eine Woche später begann die Schlacht um Wien (3. - 13.April 1945), die mit der Einnahme der Stadt durch die Rote Armee endete. Die „Kleine Wiener Kriegszeitung“ berichtete am 4. April 1945 lediglich in der Überschrift von Feindverbänden im Raum südlich von Baden. Als Motivation für jugendlich Soldaten sollte wohl der Beitrag „Fünfzehnjähriger vernichtet Feindspähtrupp“ dienen. 

kleine Wiener Kriegszeitung

Kleine Wiener Kriegszeitung, 4. April 1945, S. 1

Der Beitrag „Schreckensherrschaft der Amerikaner in Mainz – Füsilierung von Frauen“ weckt wieder die Angst vor den schrecklichen Konsequenzen einer drohenden Niederlage. Dabei wird zwischen den Zeilen aber auch die Einnahme der Stadt Main durch die Amerikaner zugegeben. 

kleine Wiener Kriegszeitung

Kleine Wiener Kriegszeitung, 4. April 1945, S. 1

Auf Seite 4 lässt der Beitrag „Alle werden Selbstversorger“ Einblick auf die reale Not der Bevölkerung zu. Darin heißt es: 

„In unserer Lager kommt es darauf an, daß jeder Quadratmeter Erde, ja jeder Blumentopf zum Anpflanzen jener Gewächse gebraucht wird, die für unsere Ernährung und Gesundheit den höchsten Ertrag liefern.“
(Kleine Wiener Kriegszeitung, 4. April 1945, S. 4)

Während die Innsbruck Nachrichten vom 4. April 1945 die Kämpfe in Wien verschweigen, finden sich auch im Beitrag „Hunger, Elend und Drohungen in den besetzten Westgebieten“ Schreckensmeldungen über das angeblich grausame Vorgehen der Amerikaner in den eroberten deutschen Städten. 

Innsbrucker Nachrichten, 4. April 1945, S. 2

Innsbruck Nachrichten vom 4. April 1945, S. 2

In der Kolumne „Furt des Schicksals“ appelliert der Autor an Widerstandswillen der Bevölkerung:

„Wir sind am Strome der Entscheidung angelangt. Es gibt keine Brücke, die bequem über ihn hinwegführt. Für niemanden und keinen! Wir sind gezwungen, durch die tosenden Wässer hindurchzuwaten auf unseren eigenen Füßen, uns mit unserer eigenen Kraft dem Wüten der Wässer entgegenzustemmen. Oder in Ihnen zu versinken, hineingerissen in die Strudel der Wehr- und Willenlosigkeit, ihnen preisgegeben und endlich elendiglich zu verkommen, schicksallos, zukunftslos. So soll und darf unser Ende nicht sein! Wir wissen Kräfte in uns, die auch dem schlimmsten Toben des Schicksalsturmes zu widerstehen vermögen. Es liegt nur an uns, sie einzusetzen.“ 

Innabruckeer Nachrichten

Innsbrucker Nachrichten, 4. April 1945, S. 1

Im Beitrag „Gauleiter Hofer bei den Standschützen: Fanatischer Lebenswille gegen haßerfüllten Vernichtungswillen“ wird der Gedanke an Kapitulation zurückgewiesen, weil kein Stand verschont bleiben würde. Dazu werden fürchterliche Bilder heraufbeschworen, um durch Angst die Kampfbereitschaft zu sichern:

„Alle nicht zur Sklavenarbeit fähigen werden geschunden, Frauen geschändet und dann alle diese samt den Kindern einem oft qualvollen Tode überantwortet. Die Vollarbeitsfähigen aber gehen als nach Sibirien verschleppte Sklaven einem keineswegs ungewissen, noch grausameren Schicksal entgegen. Engländer und Amerikaner quälen die Bevölkerung der besetzten Gebiete, geben sie dem Hungerelend preis und haben es offen zugegeben, daß sie ihre deutschen Gefangenen den Bolschewisten aufliefern werden. Darum muß von uns jeder Gedanke an Kapitulation als sinnlos abgewiesen werden.“
(Innsbrucker Nachrichten, 4. April 1945, S. 2)

Am 8. April 1945 titelt die „Wiener Presse – Gemeinschaftsausgabe der Wiener Zeitungen mit amtlichen Mitteilungen“ „Nun geht es um unser geliebtes Wien – Die Gegenmaßnahmen laufen bereits“ und berichtet über die Kämpfe um die Stadt Wien, die am 13. April von der Roten Armee erobert wird.

Wiener Presse, 8. April 1945

Wiener Presse, 8. April 1945, S. 1

Am 15. April erscheint erstmals die „Österreichische Zeitung“ mit einer „Erklärung der Sowjetregierung über Österreich“. Darin heißt es:

„Die Sowjetregierung hat nicht das Ziel, sich irgend einen Teil des österreichischen Territoriums anzueignen oder die gesellschaftliche Ordnung Österreichs zu ändern. Die Sowjetregierung steht auf dem Boden der Moskauer Deklaration der Verbündeten Mächte über die Unabhängigkeit Österreichs. Sie wird diese Deklaration in die Wirklichkeit umsetzen. Sie wird die Liquidierung des Regimes der deutsch-faschistischen Okkupanten und die Wiederherstellung demokratischer Zustände und Einrichtungen in Österreich unterstützen.“
(Österreichische Zeitung, Nr. 1, 15. April 1945, S. 1).

Im Gegensatz dazu gibt es in den Innsbrucker Nachrichten keine Berichte über die neue Lage in Wien. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, dass sich die sozialen Verhältnisse in England und Frankreich zunehmend verschlechtern würden. In der Ausgabe vom 21. April 1945 vermittelt der Beitrag „Unsere Gegenstöße an allen Fronten“ hingegen den Eindruck, als würde die deutsche Wehrmacht zum Gegenangriff ansetzen. Dass sich die Verhältnisse in Ostösterreich bereits radikal verändert haben, wird der Tiroler Öffentlichkeit geflissentlich verschwiegen.

Innsbrucker Nachrichten

Innsbrucker Nachrichten, 21. April 1945, S. 1

Die „Österreichische Zeitung“ berichtet in ihrer zweiten Ausgabe vom 21. April 1945 von ihrem weiteren Vormarsch in Österreich in Richtung Linz und Graz.

Am 23. April erscheint erstmals die Zeitung „Neues Österreich – Organ der demokratischen Einigung“ und wendet sich mit dem Aufruf „Österreicher!“ direkt an die Bevölkerung: 

„Zum erstenmal seit sieben Jahren dürft ihr nun wieder in aller Öffentlichkeit mit diesem uns allen so teuren Namen angesprochen werden. Die von Millionen Menschen unseres Vaterlandes so lange und so heiß ersehnte Stunde der Befreiung von der nazistischen Zwingherrschaft ist gekommen.“

Neues Österreich

Neues Österreich, 23. April 1945, S. 1)

In Tirol laufen die Uhren weiterhin anders und die Innsbrucker Nachrichten, als Organ der NSDAP in Tirol versucht weiterhin durch Horrormeldung über sowjetische und amerikanische Methoden in den besetzten Gebieten den Widerstandswillen der Bevölkerung durch Angst zu fördern, während die Lage im Osten Österreichs verschwiegen wird.

Innsbrucker Nachrichten

Innsbrucker Nachrichten, 23. April 1945, S. 1

In der 2. Ausgabe der Zeitung „Neues Österreich“ wird auf die Wichtigkeit des eigenen Beitrags der Österreicher bei der Befreiung des Landes hingewiesen.

„In der Moskauer Deklaration der Regierungen der Sowjetunion, Großbritanniens und der USA., diesem grundlegenden Dokument unserer staatlichen Wiedergeburt, wird Österreich »darauf aufmerksam gemacht, daß es für die Beteiligung am Kriege auf Seiten Hitlerdeutschlands eine Verantwortung trägt, um die es nicht herumkommt, und daß bei der endgültigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird.«“
(Neues Österreich, 24. April 1945, S. 1)

Die Innsbrucker Nachrichten, in der sich bis zur Schließung der Zeitung keine Meldung über die Eroberung Wiens durch sowjetische Truppen finden wird, meldete am 24. April 1945 in ihrem Wehrmachtbericht immer noch Erfolge bei der Feindabwehr in St. Pölten oder südlich des Semmerings.

Die Tageszeitung „Neues Österreich“ setzt sich bereits mit der gesellschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus auseinander und kritisiert dessen Frauen- und Familienbild. 

„Vor allem haben sie so ziemlich alles zerschlagen, was in dem hundertjährigen Kampf an Frauenrechten erobert wurde. Das Ringen der Frau um menschliche und politische Gleichberechtigung wurde im Nazireich als abgetan betrachtet. […] Der Frau war in dem ganzen Wirrsal keine andere Rolle beschieden, als die einer Gebärmaschine, einer Massenproduzentin von Kanonenfutter.“
(Neues Österreich, 25. April 1945, S. 4)

Neues Österreich

Neues Österreich, 25. April 1945, S. 4

Am 26. April findet sich in der selben Tageszeitung eine satirische Kolumne über die zahlreichen Wendehälse und das Phänomen, dass keine Anhänger des Nationalsozialismus mehr finden lassen. „Es war niemand dabei … Es hat in Wien überhaupt keine Nazi gegeben. Wer etwas anderes glaubt, ist in einem verhängnisvollen Irrtum befangen.“
(Neues Österreich, 26. April 1945, S. 4)

In Tirol wird, allen Ereignissen im Osten Österreichs zum Trotz, weiterhin zum großen Abwehrkampf aufgerufen und in der Kolumne "Nicht für uns allein" üble antisemitische NS-Propaganda verbreitet:

„Stalin als der Anführer stumpfer asiatischer Massen, sucht Proletarier für seine sibirischen Oeden, in denen er die Waffen für den nächsten Weltkrieg zu schmieden gedenkt. Amerika amtiert als Schrittmacher der Juden, jenes kulturell absolut unproduktiven Volkes, das von jeher auf Kosten der anderen sein Dasein fristete.“
(Innsbrucker Nachrichten, 27. April 1945, S. 1)

Auch das Innviertler Heimatblatt, die amtliche Wochenzeitung der NSDAP für das Innviertel, verbreitet weiterhin pathetische Zuversicht und ruft im Beitrag "Die Treue läßt uns alle Prüfungen bestehen" zum Widerstandskampf im Namen der gesamten Menschheit auf. Dazu malt sie ein Bild ambivalenter Zukunftsszenarien. 

„Noch einmal stürmen die Heere der feindlichen Mächte gegen unserer Verteidigungsfronten an. Aber es wird vergeblich sein. Setzten die Feindmächte ihren Willen durch, die Menschheit würde in einem Meer von Blut und Tränen versinken. Setzen wir aber unsere Ziele durch, das wird das in Deutschland begonnen und 1939 so jäh unterbrochene soziale Aufbauwerk der Nation wieder aufgenommen und mit verstärkter Kraft fortgesetzt werden.“ (Innviertler Heimatblatt, 27. April 1945, S. 1)

Innviertler Heimatblatt

Innviertler Heimatblatt, 27. April 1945, S. 1

Am 26. April 1945 kommt es in Wien zur Bildung einer provisorischen Staatsregierung unter Karl Renner. Die Zeitung „Neues Österreich“ veröffentlicht die erste Regierungserklärung, einen Aufruf an die Männer und Frauen von Österreich:

„[…] Rafft euch auf! Wirkt zusammen zu unserer aller Befreiung! Helft mit, das vormalige, unabhängige Gemeinwesen der Republik Österreich wieder aufzurichten! Nur im Rahmen eines geeinigten Staates und mit Hilfe einer geordneten Staatsregierung ist Rettung möglich.“ (Neues Österreich, 29. April 1945, S. 1)

Weitere Beiträge vermitteln bereits einen ersten Eindruck von den Schrecken im befreiten KZ Buchenwald: 

„[…] Die Delegierten erklärten, es sei ihre wohlüberlegte und einstimmige Meinung, daß in Buchenwald seit langem eine systematische Aushungerungstaktik geübt und Brutalitäten durchgeführt worden seien, die den höchsten Grad der Erniedrigung zeigen, zu dem die Menschheit jemals herabgestiegen ist.“
(Neues Österreich, 29. April 1945, S. 2)

Neues Österreich

Neues Österreich, 29. April 1945, S. 2

 

Weiterführende Links:

Ende 2. Weltkrieg in Österreich

Kriegsende in Tirol

 

Andreas Markt-Huter, 30-04-2025