Gedichte sind wie seltene Erden, hoch gefragt, aber schwer zu schürfen. Es bedarf freundschaftlicher Unterstützung, um als Leser zu jener Rarität vorzudringen, die uns oft nur für wenige Augenblicke berührt.
Ein Werkzeug zum Schürfen dieser Gedichte ist die Serie „Podium Porträt“. Dabei wird im bewährten Postkartenformat das lyrische Werk von Zeit-Genießenden vorgestellt, die dabei Gedichte oder Kurzprosa verfassen. Denn die Zeit wird in diesen Sphären in Vers-Einheiten oder Gedankenschüben gemessen, meist ist es fünf vor zwölf, manchmal auch schon etwas später.
Zum Porträt gehört jeweils eine Einstimmung, die jemand Vertrauter verfasst, der als Mittler zwischen dem aufgespürten Autor und der nach Erkenntnis lechzenden Leserschaft fungiert.
Im Falle des Autors Martin Dragosits ist dieser Verbündete Klaus Ebner. Beide haben zur gleichen Zeit die Wiener Lyrikszene in Bewegung gesetzt, indem sie im Arovell Verlag bemerkenswerte Texte zum Erscheinen brachten.
Unter dem optimistischen Titel „Aufwind“ kommen im Vorwort ein paar Überlegungen zur Lyrik von Martin Dragosits zur Sprache, die sich auf einem Spickzettel vielleicht mit fünf Thesen zusammenschreiben ließen.
- es handelt sich um Themen, die unter den Nägeln brennen
- die Gedichte erscheinen geläufig zu funktionieren, haben aber Sollbruchstellen in dieser Geläufigkeit eingebaut
- jäh kommt es zu launischen Formulierungen und überraschenden Bildern
- viele Verse handeln implizit vom Wirtschaftsleben und der Politik
- sogenannte Sprachexperimente sind eher spärlich gesät
Wenn man aus den biographischen Linien des Autors einen kreativen Impetus besonders herausheben wollte, könnte man sich an das Sprachbild eines „lyrischen Softwareentwicklers“ halten.
So wie im digitalen Bereich täglich aufs neue Spielregeln, Aufgabenstellungen, Updates und Kundenbetreuung hinterfragt werden müssen, die allesamt in einem Business-Check enden, so stehen in der Poesie auch die Entwicklung von poetischen Strukturen, Themenfindung und lyrische Verschleifungen zur Debatte. Der finale Check findet in der Lyrik durch die Zeit statt. Gedichte von Format sollten in den drei Hauptzeitformen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bestehen. Und die Gedichte des Aufwinds tun dies.
Vorwort und Zusammenstellung bedienen sich des Gedichts „Aufwind“, das man am besten aus drei Blickwinkeln liest. Als physikalischen Vorgang, als psychische Tageskurve, als Tageschronik einer gesellschaftlichen Stimmung.
„AUFWIND // silbergrauer / flügelschwung / im aufwind // streift den / wendekreis // die berührungsangst / der tangente / unendlich“ (17)
Von verschiedenen Etagen aus beleuchtet wirken manche Gedichte wie Hologramme aus Informationsmaterial und Poesie.
- Ein Pazifist (14) bekommt kein Kriegsspielzeug und verwendet den Kochlöffel zum Bedienen seiner kindlichen Kampfkonsole.
- Im Gedicht „Lichtspiele“ (27) entscheidet ein gegebener oder nicht gegebener Kuss über den Tageskurs der Liebe.
- In einem unerwarteten Sprachdesign wird versucht, das Unglück zu privatisieren und reorganisieren, um es in Glück zu verwandeln. (33)
- Brettmanöver zeigt ein lyrisches Ich, das sich nicht auf den Wettkampf für Pokale und Preise einlassen wird. Statt dessen geht es in den Hinterhof, wo Fliegenträume getauscht werden, jemand sorgfältig den Müll trennt zwischen Wortgestöber, während das Silbenfieber zum Fallout wird für die „Lyrikmühle auf und zu.“ (47)
- VOM UNTEREN ist vorerst eine Schlagzeile, die Erwartungen weckt. Worum wird es bei dem Gedicht gehen? Spielen soziale, geographische oder biographische Komponenten in das freie Feld hinein, das mit dieser offenen Überschrift aufgepflügt ist? Das lyrische Ich nimmt den Leser bei der Hand und führt ihn sachte ans untere Ende der Straße. „Meine Worte lasse ich da und dort fallen, / die Straße braucht langsam ein neues Bild.“ (54)
Martin Dragosits baut die Baupläne in die Gedichte mit ein, das verschafft ihnen zusätzliche Stabilität. Und sollte der Leser auf eine Sollbruchstelle stoßen, ist er eingeladen, selbst an der Verstärkung dieser Schlüsselstelle zu arbeiten. Die Gebrauchsanweisung fußt oft auf englischen Ausdrücken, wie sie in der Welt des Films, der Popkultur aber auch der Gamerszene üblich sind.
Die Sammlung „Aufwind“ führt schließlich zu einer besonderen Wetterstation.
„[…] Die Mittagszeit schrumpft / Himmelsrichtungen / zeigen sich bestenfalls / im Streit geeint / An den Sternen matte Flecken / und wohin / man auch blickt / bereits magische Zeiten“ (62)
Martin Dragosits, Podium Porträt 131. Vorwort: Klaus Ebner. 1 Abb.
Wien: Podium Verlag 2025. (= Podium Porträt 131), 64 Seiten, 6,00 €, ISBN 978-3-902886-88-0
Weiterführende Links:
Podium Verlag: Martin Dragosits, Podium Porträt 131
Wikipedia: Martin Dragosits
Helmuth Schönauer, 20-03-2025