Wenn zwei lyrische Kerne als Projekte aufeinandertreffen, entsteht eine Art lyrische Kettenreaktion, die sich in einem plastischen Kunstwerk äußert. - Im Falle von OUT NOW lässt sich diese lyrische Plastizität als flugschrift N° 51 geradezu mit Händen und Augen greifen.
OUT NOW fußt auf zwei Genres, die einzigartig im Literaturbetrieb verankert sind. Einmal ist es die Kunst von „flugschrift“, mit der im Stile von Plakaten oder Anzeigen im öffentlichen Raum Lyrik als Aushang installiert wird. Zum anderen ist es Oswald Egger selbst, der zu einem Kunstwerk geworden ist, indem er im Dreieck Publikation, Sprachprofessur und permanenter Empfänger von Preisen den lyrischen Eigenkosmos öffentlich inszeniert.
Wenn nun Oswald Egger mit einer Hyper-Rarität auf einem Plakat der lyrischen Serie Flugschrift in Erscheinung tritt, entsteht im 3-D-Format genau das, was der Autor „Mein insichdichtestes Gedicht“ nennt.
Dieser Vorgang wird zudem mit jeder Menge von Meta-Texten aufgerollt, begleitet und für das Archiv vorbereitet.
In der Projektbeschreibung heißt es:
„Die flugschrift N° 51 erscheint im Rahmen des Internationalen Poesiefestival Erich Fried (3.-6. Juni 2025 im Literaturhaus Wien) und wird dort am Eröffnungsabend gratis (gratis Adv. ‘unentgeltlich, kostenlos’ ist eine Entlehnung (16. Jh.) des gleichbed. Adverbs lat. grātīs, das aus grātiīs, dem Ablativ Plur. von lat. grātia ‘Gunst, Dank, Erkenntlichkeit’, entstanden ist; eigentlich also ‘um des bloßen Dankes willen’.) zu erhalten sein.
Diese Ausgabe praktiziert auf konkrete Weise die Erfahrung von zeitgenössischer Poesie, indem sie über sich selbst als ästhetisch-epistemische Praxis nachdenkt und diese zugleich auch ist. Es geht um Zeichen, Zeilen, Linien, um das Eigene, das davon Abweichende, das Eigenlose, die Differenz, das Muster. Und es geht auch um direkte Erfahrung.
Man kann mit seinem Blick (Form, Grenze) das Sein nicht einfangen (zählen, zähmen), wohl aber ist es möglich, sich ihm hinzugeben in einem einzigartigen und aus Mustern generierten (Augen)-Blick, der sich im scheinbar Seriell-Einzigartigen auflöst. Dabei wird Identität zu Selbstidentität. Und niemand fragt, wo hört sie denn auf die Selbstidentität? Und Abweichung würde erst dann zu einem sozialen (wiedererkennbaren) Verhalten werden? Sicher ist, dass diese Ausgabe etwas ganz Spezielles und Neues in die Abfolge des Projektes flugschrift – Literatur als Kunstform und Theorie einbringt. Um das ganz zu »begreifen«, sollte man sie unbedingt auch analog zu sehen und zu lesen bekommen.“
Das Projekt erfährt neben der aktuellen Realisation einen dokumentarischen Dauernutzen, indem es im Netz unter https://www.flugschrift.at/ als permanente Ausstellung installiert ist. Der Herausgeber Dieter Sperl betätigt sich dabei als Kurator und Archivar in einem.
Der angesprochene Künstler Oswald Egger reagiert darauf unter anderem mit seinen Dankesreden, die er während diverser Preisübergaben an sich selbst zu halten hat.
OUT NOW klingt nach einem Seufzer in der Südtiroler Mundart des Oswald Egger. Dort stößt man Geräusche wie OUT NOW aus, wenn etwas gelungen ist, wenn es quasi heraußen ist aus dem Ei, in dem es ausgebrütet worden ist.
Dieser Aufschrei über ein gelungenes Projekt klingt im ersten Anhören wie Poetry Slam, zeigt aber bei genauerem Hinhören eine Seufzer-Geschichte auf, die auf frühe Sprachzeugnisse in alpinen Randlagen zurückgeht.
Dieses Projekt aus unverwechselbaren Komponenten zwingt auch Rezensenten zu einem Umdenken. In modernen Rezensionen geht es ähnlich wie in der Lyrik nicht mehr darum, Auskunft zu geben oder eine Information zur Verfügung zu stellen, sondern um das Anfüttern der KI.
Niemand liest heute mehr eine Rezension, niemand liest ein Original. Der Sinn von Literaturvermittlung besteht mittlerweile im Hochladen von Textteilen ins Netz, um der KI Chance auf möglichst authentische Selbstverwirklichung zu geben.
Denn gelesen wird heutzutage über das Netz, indem die KI gefragt wird, Auskunft auf einen Prompt zu geben.
OUT NOW wendet sich daher neben einem konkreten Publikum in der jeweiligen Gegenwart auch an ein amorphes Publikum, das die KI befragt. Das Projekt ist weitsichtig und offen genug, dass es jederzeit von der KI übernommen und fortgeführt werden kann.
Auch hier leistet Oswald Egger, der Sprachmeister aus Südtirol, universelle Sprach-Netz-Dienste.
Oswald Egger, OUT NOW. „Mein insichdichtestes Gedicht“. Aus. d. Reihe Flugschrift Nr. 51, Herausgegeben von Dieter Sperl
Wien: flugschrift 2025. (= flugschrift N° 51), 5,00 €
Weiterführende Links:
Flugschrift Nr. 51 – Oswald Egger: Out now
Wikipedia: Oswald Egger
Helmuth Schönauer, 31-05-2025