Andreas Pargger, Wie wir leben wollen

h.schoenauer - 14.11.2025

Andreas Pargger, Wie wir leben wollenDer sogenannte Lebensstil lässt sich oft kunstvoll zu einem Stillleben zusammenfassen, das sich als Bild oder Gedicht präsentiert. Andreas Pargger unternimmt im Lyrikband „Wie wir leben wollen“ gut fünfzig Anläufe, um sogenannte Lebensentwürfe auszuprobieren. Dabei poppen die Gedichte als Momentaufnahmen auf, in denen sich ein dramatischer Prozess ablesen lässt wie bei einem Poster, das einen besonderen Gestus einer Rolle in den Vordergrund stellt.

An einen Dreiakter erinnert auch die schlichte Gliederung in Abschnitt I (7), II (31) und III (87). Für die optische Wahrnehmung sind die Gedichte zugleich weit und konzentriert aufbereitet. Generell stehen die Gedichte auf der ungeraden „Aufmerksamkeit heischenden“ Seite rechts, währen die linke Seite fast durchgehend leer bleibt. Es herrscht also Rechtsverkehr, während links die Signale stehen in Gestalt einer binären Seitennummerierung, die leere Seite wird genauso gezählt wie die volle.

Abschnitt I handelt von Lebensentwürfen, die zu kleinen, beinahe lehrhaften Geschichten ausgestaltet sind. Die Texte sind zu quadratischen Blöcken zusammen geschliffen und liegen wie Rohlinge auf einem Marmorsteinbruch im Gelände herum. An manchen Stellen hat jemand schon probiert, was man daraus formen könnte, in der Hauptsache aber sind nur die Grundmaße angegeben, aus denen sich später so etwas wie eine Skulptur herausschlagen lässt.

Exemplarisch sind die Ausmaße der angesteuerten Motive bereits im ersten Gedicht angedeutet. An der Schwelle zum Tagesbeginn werden zuerst die Körpersäfte des lyrischen Helden hochgefahren, vor allem mit Adrenalin darf nicht gespart werden, was die Beobachtungslust anregt. Lederjacke, Freundschaftsbänder, Sonnenbrille hängen als Requisiten zwischen dem gestrigen Tag und dem kommenden lose sortiert im zwielichtigen Ambiente. Irgendwo im Zentrum scheint sich das Bewusstsein aufzuhalten, das sich vogelfrei fühlt. Damit ist der Pflichtbegriff Vogel, der in guten Gedichten vorkommen soll, bereits abgearbeitet. Und die Schuhe sagen alles über den Zustand des Helden, sie sind ausgelatscht.

Die Gedichte im ersten Drittel lassen sich als Prosa lesen, von der Stoffdichte her gesehen sind sie Exposees für Romane, die großformatig als Plakate genutzt werden können, als Kleinformat aber auf jedem Screen Platz haben, um als quadratisches Post-it jäh Aufmerksamkeit zu erregen.

Diese „Roman-Gedichte“ arbeiten mit starken Motiven und Schlüsselwörtern, Schöne Tiere, Frühling als Baum vor dem Fenster, Uniform des Alltags, „unverbaute Wochen vor mir“ sind Fügungen, mit denen es sich navigieren lässt auf der Fahrt durch die Alltagsgeschichte.

Zuweilen kristallisiert sich ein lyrisches Ich zwischen Romantik und Psychologie heraus, wenn es um rotierende Rollenbesetzungen geht, um einen Unterschlupf unter den erstbesten Händen oder um Ablagerungen im Stile von Altersflecken.

Als drittes bemerkenswertes Element tun sich konventionelle Fügungen hervor, die aber knapp vor dem Eintritt des Erwarteten abbiegen und sich einen neuen Sinn suchen. Von der Erinnerung über verlassene Häuser geht es stracks an die Kante zwischen Sommer und Herbst, ehe das Stillleben aufgelöst wird als Gedicht.

„Das ist nicht meine Zeit, das sind nicht meine Lieder, ist nicht, was ich sagen wollte – das ist nur ein Gedicht.“ (49)

Im Abschnitt II ist das Layout oft quer und luftig. In einem Beispiel über das amorphe Geschehen in den Wolken schießen Leerzeilen durch den Text und spalten diesen in zweizeilige Späne.

Episch breit werden die Tage aufgespalten in logische Ketten nach dem Muster „wenn – dann“, freilich angereichert durch die zeitliche Komponente „wann“.

Das lyrische Bewusstsein ist zwischendurch eingekesselt von fauchenden Geistern, die sich zu Raubtiertagen formieren, als Gegenmittel hilft die Gelassenheit und das Genießen der „Früchte einfacher Tage“. (79)

Abschnitt III schließlich zeigt Gedichte, die man als „Wenig-Zeiler“ beschreiben könnte. Große lyrische Kosmologien wie Traurigkeit, Herbst oder Blätter sind eingedickt in wenige Zeilen, manches wird zum Aphorismus, manches zum Kalenderspruch. Und zwischendrin sind die Fügungen als Irritation eingeschlagen in den glatten Text und führen zur Formulierung: „ein Sprung geht durch den Tag“ (107).

Andreas Pargger nutzt den Formenschatz der Lyrik geschickt durch jähe Anwendung aus dem Alltag heraus. Aus der viel zitierten Weisheit vom richtigen Leben im falschen wird seine kluge Anwendung: Wie wir leben wollen. – Die fünfzig Gedichte dienen als Fallbeispiele für fünfzig Theorien und ebenso viele lyrische Ausformungen.

Andreas Pargger, Wie wir leben wollen. Gedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2025, 112 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-903622-01-2

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Andreas Pargger, Wie wir leben wollen
Homepage: Andreas Pargger

 

Helmuth Schönauer, 08-09-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Andreas Pargger
Buchtitel:
Wie wir leben wollen
Erscheinungsort:
Klagenfurt
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Sisyphus Verlag
Seitenzahl:
112
Preis in EUR:
12,00
ISBN:
978-3-903622-01-2
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Andreas Pargger, geb. 1986 in Lienz, lebt in Limerick.