Irene Schrattenecker, Das Leben der Wörter

h.schoenauer - 17.11.2025

Irene Schrattenecker, Das Leben der WörterVielleicht sollten wir neben den Tieren und Pflanzen auch die Wörter als Lebewesen würdigen, die uns zwar täglich hilfreich zur Seite stehen, die wir aber regelmäßig zum Aussterben verdammen. Irene Schrattenecker geht mit ihren knapp dreißig Miniatur-Erzählungen Gedanken nach, die im Laufe eines Tages so daherkommen, die man aber meist unbeachtet weiterziehen lässt. Die einzelnen Texte könnte man als impressionistische Petitessen bezeichnen, wie sie seit Robert Walser als Inbegriff für das Flanieren durch den eigenen Kopf gelten.

Die Konsistenz dieses Wörter-Denkens wird in den ersten drei Impressionen vorgestellt, wenn es um „Das Leben der Wörter“, „Wörterbuchreise“ und „Lesen“ geht. Aus diesen schlichten Überschriften leiten sich jeweils träumerische Gedankenschleifen ab, die zu einem Spaziergang durch das Sprachgelände einladen, worin vielleicht alte Geschichten aus der Stadt aufgestellt sind wie Rastbänke am Wegesrand.

Wie alt sind eigentlich die Wörter, können sie reisen, und wie häufig kommen sie vor? Können Wörter für sich selbst einsam sein? Und wo halten sie sich am liebsten auf?

Das erzählende Ich treibt sich mit Vorliebe in alten Wörterbüchern herum, diese Reisen sind mindestens so intensiv wie jene, bei denen man den kompletten Körper samt Gepäck herumschleppen muss. Je älter die Lexika, umso entlegener sind die Wörter, die teilweise wie in einem Museum in Vitrinen abgelegt sind. Aber auch das digitale Lexikon ermöglicht exotische Reisen, wenn man etwa die Wörter nach Häufigkeit ordnet, um sich so einen Durchschnittszugang zur Alltagssprache zu erschließen.

Meist bringt man mit Erbstücken irgendwelche Truhen oder Schmuckstücke in Verbindung, die Erzählerin freilich hat die gesamte Großmutter vererbt gekriegt, samt ihren Geschichten, Vorlesestunden und magischen Erzählungen. Um dieses Erbe antreten zu können, bedarf es der Kunst des Müßiggangs, die man aber nicht lernen kann, sondern die ebenfalls vererbt sein muss.

Der geglückte Umgang mit Wörtern erleichtert das Einschlafen, hilft beim Sortieren von Klischee und Vorurteil und führt zu einem Zustand des „Innehaltens und Nachdenkens“. (26)

Oft sind schon die Überschriften Gebrauchsanweisungen und Tipps, wie man mit dem Gedankenmaterial zu Rande kommen könnte, ohne es zu zerstören. Die Erzählungen werden dadurch zu Präparaten, die sich die Leser unter ihre persönlichen Okulare schieben müssen, um sie zu enträtseln.

Die einzelnen Impressionen sind naturgemäß untereinander verschränkt und verschlungen wie der sprichwörtliche Erzählstrang, der aus vielen Teilen zusammengedreht ist.

Eine kleine Betrachtung der Welt geht beinahe logisch über in eine Überlegung zur „Entfärbung der Welt“. Das Ergebnis dieses Experiments ist eine Abhandlung über die Liebe, die mit einem nicht erwartbaren Statement aufhorchen lässt. „Keine falschere Behauptung als die, jeder Mensch müsse im Leben wenigstens einmal lieben.“ (42) Die These wird aus allerhand persönlichen und gesellschaftlichen Blickwinkeln beleuchtet und führt zu einem recht befreienden Schlusssatz. „Aber hey, ansonsten lebt es sich ganz gut ohne die große Liebe!“ (44)

Eine Reise durch die herausgeputzte Welt verklungenen Adels bleibt an der Figur von Sisi hängen, die korrekt und cool als Elisabeth beschrieben wird. Einmal geht es um „Elisabeths unsterblichen Zauber / Gedanken über einen Mythos“ (63), zum anderen um „Elisabeth. Schicksal zweier Statuen“. (69) In beiden Fällen, ob als lebende Figur oder als Statue, sind es die Leser, die die schemenhaft vorgespiegelte Heldin zum Leben erwecken müssen.

Den Abschluss einer Reise mit und zu den Wörtern bildet eine kleine Textserie über Triest, subsumiert unter dem Titel „Impressionen einer Wahltriestinerin“. In Triest, eingeladen von Meer, Hafen, Café und Gebirge, fühlen sich die Wörter besonders wohl. Wer sich zu ihnen dazusetzt, ist sofort umringt von Gästen aller Sprachen und Epochen.

Irene Schrattenecker erzählt von Rundgängen durch Museen voller Bilder, impressionistischen Wetterlagen im Kopf und einer Leichtigkeit beim Flanieren, wenn der Wind die Wörter wie Blätter vor sich hertreibt.

Irene Schrattenecker, Das Leben der Wörter. Erzählungen
Innsbruck: Edition Laurin 2025, 112 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903539-56-3

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Irene Schrattenecker, Das Leben der Wörter
Universität Innsbruck: Irene Schrattenecker

 

Helmuth Schönauer, 19-09-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Irene Schrattenecker
Buchtitel:
Das Leben der Wörter
Erscheinungsort:
Innsbruck
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Edition Laurin
Seitenzahl:
112
Preis in EUR:
20,00
ISBN:
978-3-903539-56-3
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Irene Schrattenecker, geb. 1972 in Salzburg, lebt in Wien und Triest.