Aharon Appelfeld, Geschichte eines Lebens

Buch-CoverEigentlich bietet dieses Leben Stoff für mindestens drei Schriftstellerleben. Irgendwann, als der autobiographische Erzähler schon fest in der Literatur verankert ist, schütteln die Leser den Kopf, dass es so ein Schicksal nicht nur in der Literatur sondern in "Echt" gibt.

In einer Mischung aus individueller Erinnerung, verdichteter Biographie und literarisierender Erlösungstheorie schreibt der Autor in thematischen Schleifen das auf, was er für die Substanz seines Lebens hält.

Dazu zählen diese wunderbaren Jahre der Kindheit in der Bukowina mit Gerüchen, Ferien und fröhlicher Mutter, die Düsternis des Krieges und der Ermrdung der Mutter, das sprachlose Durchtauchen durch das Hächselwerk des Überlebenskampfes bis hin zur Rettung in Palästina. In den späteren Sequenzen geht es um das Fuß Fassen in der Literatur, die Entscheidung, sich um das Jiddische zu kümmern, und schließlich die Frage, wie kann man das alles erzählen.

Als Leser bleibt einem bei diesem Leben ohnehin die Spucke weg, da braucht es keine Literatur, wenn das Leben so wild ist. Aber Aharon Appelfeld erklärt unermüdlich die Aufgabe der Literatur, nicht die Realitätsbeschreibung kann über Shoa und Überleben Auskunft geben, nur die Literatur in ihrem zeitlosen Anwurf kann die Geschichte kommentieren.

Der Autor erzählt durchaus kritisch von der Stimmung im eingebunkerten Israel, nicht alles ist dort intellektuell hell ausgeleuchtet, die Stimmung schwappt von cooler Machbarkeit der Dinge bis zur mystischen Verklärung des Daseins durch die religiösen Schriften. Und als Bildungsoffizier erzählt der Autor während der Wüstenabende seinen Soldaten, was es mit dem Krieg so auf sich hat, eine beinahe makabere Bildungssituation.

Persönliche Liebschaften, Erotik oder Gefühle, die über das nackte Überleben hinaus gehen, sind durch die Bank ausgeblendet. So entsteht ein Bild von der Schriftstellerei, das sehr nahe an ein religiös motiviertes Autorenmönchtum herankommen. Also der Autor ist nicht Genie, sondern durch Reduktion in der Lage, im eigenen Leben während aller Schrecknisse zu überwintern.

Aharon Appelfeld, Geschichte eines Lebens. A. d. Hebr. von Anne Birkenhauer [Orig. Titel: sippur chajim, 1999]
Berlin: Rowohlt Berlin 2005, 201 Seiten, EUR 17,90, ISBN 3-87134-508-3

 

Helmuth Schönauer, 25-11-2005

Bibliographie

AutorIn

Aharon Appelfeld

Buchtitel

Geschichte eines Lebens

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Rowohlt Berlin

Seitenzahl

201

Preis in EUR

EUR 17,90

ISBN

3-87134-508-3

Kurzbiographie AutorIn

Aharon Appelfeld, geb. 1932 in Czernowitz, lebt in Jerusalem.