Herwig Gottwald (Hrsg.) u.a., Adalbert Stifter

Buch-CoverWie immer bei „ide“-Heften ist auch dieses Themenheft zum 200sten Geburtstag Adalbert Stifters in der Lage, den Deutschunterricht der aktuellen Saison zu verschönern und von der Interessenslage des Stoffes her upzudaten.

Darüber hinaus hat dieses Stifter-Heft auch die freche Eigenschaft, mehrere Generationen des Jahres 2005 in ihrer Stifter-Befindlichkeit zu beschreiben. Was wird vom Stifter-Jahr bleiben, wenn es aus ist?, heißt es süffisant in der Einbegleitung. Nach Ablauf des Stifter-Jahres kann man sagen: eine Menge!

Beispielsweise Stifters Umgang mit Emotionen. Diese werden bei Stifter mit Aggredienzien, Beiwerk und Symbolen gestaltet und weniger mit der Innensicht. Dieser Palaver über Rosen, Stacheln, Schmerzen, Abgründe, Zäune und Katastrophenwetter kriegt aber eine raffinierte Aktualität, wenn man etwa den Umgang der gegenwärtigen Jugend mit Icons, Konsolen und Notebooks vergleicht.

Herwig Gottwald beschreibt den Stifterstil am Beispiel der „Mappe des Urgroßvaters“, und natürlich entsteht sofort die Lust, sämtliche Fassungen dieser Mappe wieder zu lesen. Denn nicht nur Stifter war nie zufrieden mit seinen Texten und hat quasi am Vorderteil schon wieder umgeschrieben, als der Hinterteil noch gar nicht fertig war (hier wird immer die Parallele zu Anton Bruckners göttlicher Kompositionitis erwähnt), auch der Stifter-Leser ist nie fertig und über Jahrzehnte beseelt, diese fetten „witikalischen“ Werke zu Lebzeiten irgendwie zu schaffen.

Der Altmeister der Stifterkunde, der Innsbrucker Professor Alfred Doppler zeigt imposante Fälle, wo die Komposition der Briefe jenen der Werke entspricht. Auch hier lässt sich wieder die aktuelle Jugend ansprechen, die SMS-Kultur als Komposition der Lebensentwürfe ließe sich dann elegant mit Stifter verbinden.

Natürlich gibt es auch Schulprojekte, aus denen man das überregionale historische Denken ableiten kann. Der Stifter-Kosmos ist mittlerweile in den EU-Staaten Tschechien und Österreich beheimatet, was liegt also näher, diese Stifterwelt in seinen Auswirkungen auf beide Staaten zu untersuchen. Schulprojekte mit tschechischen und oberösterreichischen Schulen ermöglichen einen regen Gedankentransfer. Methodisch hervorragend ist vielleicht die Textkiste, in welche eine Schulklasse Texte und Deutungen steckt und an die nächste Schule weiter schickt. Diese Kiste wird so zu einer Schatztruhe für Stifter-Erlebnisse.

Die Befindlichkeit von Stifter-Lehrern wird mit der schönen Schlagzeile „stifter.com und stifter.ade“ beschrieben. Für den jeweils Angetörnten ist dabei ein Stiftertrauma mindestens so heftig wie eine Stiftereuphorie.

Stifter bei Thomas Bernhard, die Verfilmung mit Moretti, der Jahrhundertfilm Kurt Palms über den „Schnitt durch die Kehle“ (2003), die Lust der Pädagogen, von vornherein Stifter als Pädagogen zu sehen, bloß weil er irgendwie in den Landesschulrat gekommen ist – lauter schöne Themen mit sachter Ironie ausgeführt!

Wohltuend für normale Leser: So läßt sich das Stifterjahr auch nach seinem Ablauf noch aushalten, Stifter ist letztlich ein Stück Kanon, das bereits bei der Namensnennung eine individuelle Schublade der Empfindung öffnet.

Herwig Gottwald / Christian Schachenreiter / Werner Wintersteiner (Hg.): Adalbert Stifter.
Innsbruck: Studienverlag 2005. ( = ide 1/2005). 143 Seiten. EUR 12,60. ISSN 0721-9954.

 

Helmuth Schönauer, 11-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Herwig Gottwald (Hrsg.) u.a.

Buchtitel

Adalbert Stifter

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Studienverlag

Herausgeber

Herwig Gottwald u.a.

Seitenzahl

143

Preis in EUR

EUR 12,60

Kurzbiographie AutorIn

Werner Wintersteiner ist Professor an der Universität Klagenfurt und Herausgeber der Zeitschrift „informationen zur deutschdidaktik“ (ide).