Alois Schöpf, Vom Sinn des Mittelmaßes

Buch-CoverEin guter Essay fährt wie eine Frechheit unter die Haut, wohltuend schräg, überspitzt, vielleicht auch falsch. Man will als Leser ständig kontern und weiß, dass das die Kunst des Essays ist: den Leser aus der Reserve zu locken.

Alois Schöpf, als Bewohner des Tiroler Mittelgebirges profunder Kenner der Materie, reißt das Tiroler Land mit ein paar raffinierten Gedankenschlitzen an seinen Weichteilen auf.

Erste Hauptthese: Das Mittelmaß hat System. In der Provinz passiert nichts zufällig, schon gar nicht, wenn darin eine Einheitspartei wütet.

Zweite Hauptthese: Wenn ich als Machthaber die Menschen mit Mittelmaß voll knalle, kann ich im Schatten dieser Knallerei mein eigenes Süppchen kochen.

In kunstvollen „Abrechnungen“ werden Theater, Festivals, Events, Literatur und beamteter Kulturbetrieb auf die Schaufel genommen und über das Sieb des Mittelmaßes geworfen. Und siehe, alles strotzt nur so vor Dilettantismus und Mittelmaß.

Da wir es in der Provinz mit einer herrschaftlichen Duldungskultur zu tun haben, sind die jeweils politischen Kulturlandesräte auf dem Papier für Kultur zuständig. In der Praxis freilich werden sie nach der Arithmetik des Mittelmaßes ausgewählt, Hauptsache ihre Herkunft und ihr Heimatbezirk stimmen, alles andere lässt sich dann schon über die Runden bringen. Tatsächlich liefern die Kulturlanderäte hinter einander gereiht schon eine beachtliche Geisteskurve in der Gegend um die Nullachse ab.

Diese Abrechnungen sind ein süffisant zu lesender Kommentar der Tiroler Provinzkultur der letzten drei Jahrzehnte. Wohin das Auge blickt: alles ist flach, nichtssagend, angepasst. Obwohl Alois Schöpf diese Hinrichtungen mit der scharfen Wortklinge setzt, bleibt er doch angenehm intellektuell zurückhaltend und entgleist auch bei noch so wilden Wortkaskaden nicht.

Im hinteren Teil des Essays versucht der Autor dann dieser niedergemähten Kulturwiese des Mittelmaßes etwas Erhöhtes entgegenzusetzen.

Seine Gleichung heißt verkürzt: Oper statt Dom. Also wenn Kultur und insbesondere die Oper die Menschen zu höchster Verzückung führen dürfte, müsste das Volk nicht mehr in Domen und religiösen Zeremonien die eigene Unaufgeklärtheit zelebrieren. Die Oper als die Ekstase einer säkularisierten Gesellschaft, das wär’s wohl!

Als Leser wird man natürlich ständig aufgefordert, dem Essayisten zu widersprechen.

Also ein paar Ungereimtheiten sind sicher in der Anlage des Essays zu sehen. Alois Schöpf hat irgendwo einen Geniebegriff im Hinterkopf, der einfach ums Verrecken nicht in der Provinz gedeihen will. Wenn nur das Mittelmaß ordentlich überschritten würde, wäre die Welt besser. Als Leser setzt man dem frech die Erfahrung gegenüber, dass das Mittelmaß ja auch das höchste ist, was ein Mensch erreichen kann. Man denke etwa an den gegenwärtigen Bundespräsidenten, der als die graueste aller grauen Mäuse gerade durch die Pflege des Mittelmaßes zur Größe gelangt ist.

Auch die Aufgabenstellung in der Provinz wird von Alois Schöpf etwas zu euphorisch eingeschätzt. In der Provinz geht es doch darum, fern von einem kulturellen Zentrum mit Lust und Gelassenheit in den Tag zu leben. Das Mittelmaß ist somit die ideale Grundversorgung in der Provinz.

Alois Schöpfs Essay über den Sinn des Mittelmaßes ist jedenfalls ein prächtiger Ausgucksturm, um die geniale Fläche in der Provinz zu begutachten, so weit das Auge reicht oder bis es intellektuell zerbricht.

Alois Schöpf, Vom Sinn des Mittelmaßes. Essay.
Innsbruck: Limbus 2006. 185 Seiten. EUR 14,10. ISBN 978-3-902534-02-6

 

Weiterführende Links:
Limbus-Verlag: Alois Schöpf, Vom Sinn des Mittelmaßes
Homepage: Alois Schöpf

 

Helmuth Schönauer, 08-01-2007

Bibliographie

AutorIn

Alois Schöpf

Buchtitel

Vom Sinn des Mittelmaßes

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Limbus

Seitenzahl

185

Preis in EUR

14,10

ISBN

978-3-902534-02-6

Kurzbiographie AutorIn

Alois Schöpf, geb. 1950, wohnt in Lans.