Kriminalroman

Wilhelm Kuehs, Wer zuletzt lacht

h.schoenauer - 20.07.2017

Mittlerweile wird manchem Krimi-Schreiber selbst bewusst, dass das Fließbandschreiben nicht das Gelbe vom Ei sein kann, weshalb immer öfter in einem Nachwort erklärt wird, welch hohe Gedankengänge eigentlich im Krimi stecken.

Wilhelm Kuehs erklärt sein ungebremstes Schaffen mit der hohen Wahrscheinlichkeit, die in einem Krimi sitzt. Er zitiert den russischen Semiotiker Jurij M. Lotman, der sagt, „der literarische Text sei ein sekundäres modellbildendes System“. Im Kärntner-Krimi werden Elemente der Wirklichkeit transferiert, modelliert und manchmal bis zur Kenntlichkeit entstellt, um ein sekundäres System, eine narrative Welt zu schaffen. (333)

Elisabeth Schicketanz / Robert Boulanger, Wildwochen

h.schoenauer - 29.06.2017

Alles Helle auf der Vorderseite hat meist etwas Dunkles auf der Hinterseite. Wer mit dem Finger durch die Speisekarte der Wildwochen fährt, muss wissen, dass zumindest in Österreich allerhand Blut und Dreck auf der Rückseite der Speisekarte steht.

Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger haben sich lustvoll der österreichischen Seele angenommen, die bekanntlich verbrämt durch urbane Sequenzen als archaisches Finsterland im erweiterten Speckgürtel rund um die Hauptstadt ansässig ist. Wer verstehen will, wie dieses ironisch-feudale Österreich tickt, das sich zwischen Deix-Figuren in Ackerfurchen versteckt, kommt an der Jagd nicht vorbei. Allein in Niederösterreich sind gut dreißigtausend Jagdscheine im Umlauf, (91) sagt jemand ganz verbittert, als er nicht mehr weiterweiß.

Clemens Lindner, Waltherpark

h.schoenauer - 15.06.2017

Der Sinn von Denkmälern muss immer wieder neu definiert werden, unbestritten sind diese Stelen, Figuren und Obelisken freilich als Orientierungshilfe bei der Müllentsorgung, als Treffpunkte für erotische oder psychodelische Rendezvous und schließlich als ideale Schauplätze für literarische Morde.

Clemens Lindner baut das Schicksal seines Helden Fetz rund um das Waltherdenkmal am Waltherplatz zu Innsbruck auf. In einer Welt voller Fiktion und Spielereien wird das Denkmal des mittelalterlichen Ober-Minnen zu einer Schnittstelle zwischen Wahn und Wirklichkeit. In einem Waltherzitat als Vorspann wird darauf hingewiesen, dass niemand ohne eine gewisse Grundfeindschaft leben kann.

Lena Avanzini, Auf sanften Schwingen kommt der Tod

h.schoenauer - 11.06.2017

Wie Mais, Erz oder Altreifen werden Krimis mittlerweile als Massengut transportiert und in Tonnen abgerechnet. Dabei ist der Container noch die kleinste Abrechnungseinheit, es gibt Buchhandlungen, die ordern ganze Schiffsladungen von abgerundeten Krimis. Um in diesem Schüttgut den Überblick zu behalten, nummerieren die Autorinnen ihre Fälle durch, das hilft bei der Abrechnung, und auch die Leser sind froh, wenn sie sich eine Zahl merken können statt eines nichtssagenden Titels.

Lena Avanzini ist also jetzt beim zweiten Fall der Carla Bukowski und die größte Spannung tritt auf bei der Überlegung, wie viele es noch werden könnten. Gleich zu Beginn wird durch geschicktes Verhör ein Fall in Highspeed geklärt, eine Frau, die beinahe in flagranti beim Morden erwischt worden ist, gesteht diesen beinahe spontan.

Doris Gercke, Milenas Verlangen

h.schoenauer - 01.06.2017

Die Gegenwartsliteratur besteht ja immer auch aus einem Segment voller Werbung. Zyniker sagen, in der Konsumgesellschaft wird gar nichts anderes erwartet, als dass ein Produkt ohne Inhalt für sich wirbt. Die abgedroschenste Form, Literatur zu lancieren, besteht daher momentan darin, dass man überall Krimi draufschreibt.

Doris Gercke ist mit ihrem Roman „Milenas Verlangen“ zum Krimi-Handkuss gekommen. Letztlich geht es um drei derangierte Personen, die tief verwundet ihre Seelenpatzer wegwischen wollen. Da ist zum einen die Ich-Erzählerin Milena, die als Anwältin aus dem Justizbetrieb ausgestiegen ist und jetzt mit ihrer Tochter in einem Streifen zwischen Strand und Nichts lebt, das sie hoffnungsvoll Provinznest nennen. (167)

Stefan David Kaufer, Sopranistinnensterben

h.schoenauer - 27.02.2017

Die Begriffe in der literarischen Geschäftssprache werden immer üppiger, was dem Österreichischen sehr entgegenkommt. Zum Roman sagt man mittlerweile Kriminalroman, zum Koch Haubenkoch und zum Autor Bestseller-Autor.

Stefan David Kaufer setzt diesen Ausschweifungen eins drauf und nennt seinen frechen Text satirischen Kriminalroman, und aus den Sopranistinnen hört man als Leser noch die schrillsten Töne heraus, ehe sie sterben. Die wichtigste Silbe des ganzen Romans ist ur-, das verrät einerseits große Sprachkompetenz der Helden, wenn sie alles auf einen Urzustand zurücksetzen, und andererseits große Emotionalität, wenn in urkomischen Metaphern zwischen den Generationen-Codes herum geplärrt wird.

Gianrico Carofiglio, Trügerische Gewissheit

h.schoenauer - 24.02.2017

Wie bei allen großen Dingen im Leben ist auch in der Kriminalistik die Gewissheit zur falschen Zeit ein Luder und kann einen Fall verhunzen.

Gianrico Carofiglio lässt in seinem Kriminalroman die Figuren einzeln und übersichtlich auftreten, die trügerischer Gewissheit lässt Maresciallo Pietro Fenoglio jeweils den Gedankenfaden unterbrechen, wenn er zu logisch wird. Erst durch Geduld und Hartnäckigkeit, den Grundtugenden des Sherlock Holmes, den der Held begeistert liest, kommt der Fall voran.

Herbert Dutzler, Bär im Bierkrug, Gott und Teufel

h.schoenauer - 10.02.2017

Der Reiz von Kriminalerzählungen liegt vor allem darin, dass sie zeigen, wie jede mögliche oder unmögliche Situation entgleisen und zu einem Kriminalfall werden kann. Gerade Österreich, das Land der Dauerentgleisungen, entwickelt sich zunehmend zu einem Paradies für Kriminalschriftstellerinnen.

Herbert Dutzler, der immer wieder als die Kriminal-Seele Österreichs bezeichnet wird, deutet in den vierzehn Kriminalgeschichten an, woraus das Land besteht, wenn man seinem Geflüster zuhört: aus verzwickten, verdrossenen und verdroschenen Kleinkrämerseelen, die sich durch den Alltag retten müssen. So kaputt kann es freilich gar nicht zugehen, dass nicht einer der Beteiligten lachen müsste, und sei es nur der Leser.

Gioaccino Criaco, Schwarze Seelen

h.schoenauer - 08.02.2017

Die echten Krimis spielen nicht in der lauen Wachau unter Marillen sondern in den zusammen gestampften Soziotopen der Wälder Kalabriens und des Dschungels von Mailand.

Gioaccino Criaco greift die Erzählform eines Soziologen auf, der in Ich-Form quasi eine Feldstudie an sich selbst durchführt. Tatsächlich ist der Plot autobiographisch, wonach die Söhne von kalabrischen Ziegenhirten nach Mailand zum Studieren gehen und später in der Heimat das Land politisch aufzumischen versuchen. Die Figuren, Strategien, Motive und Prozesse sind aus der unmittelbaren Zeitgeschichte entnommen, wie sie sich in den Chronik-Teilen lokaler Zeitungen seit Jahrhunderten darbieten.

Reinhard Kocznar, Machtblind

h.schoenauer - 18.01.2017

Viele Kriminalfälle entstehen ja dadurch, dass die Wortwahl oft völlig divergierende Deutungen eines Sachverhaltes zulässt. Machtblind kann heißen, dass jemand wegen seiner Macht blind wird, oder aber, dass jemand gegenüber der Macht blind wird.

Reinhard Kocznar wählt zwar die Form des Kriminalromans, damit alles wenigstens halbwegs eine Ordnung hat, in Wirklichkeit aber beschreibt er das diffuse Treiben rund um mysteriöse Geschäfte, wo alles unsicher ist und nur Wörter wie Knarre oder Kohle Stabilität verheißen. „Er haute ab, als die Knarre sprach.“ (126)