William H. Gass, Der Tunnel
Einem Massiv lässt sich in der Geologie nur durch einen Tunnel begegnen, ähnlich geht es in der Erzählkunst zu: Wenn etwas zu hart ist für die oberflächliche Darstellung, muss man semantisch unten durch.
William H. Gass lässt seinen Protagonisten nichts Geringeres versuchen, als ihn in ein Loch durch das Nazi-Deutschland zu schicken, freilich in einer ziemlich granitenen Form. Von der Handlung her geht es noch halbwegs überschaubar zu, ein gewisser Kohler hat eine Germanisten-Arbeit geschrieben „Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland“.
Die ersten Worte, die nach einem Unglück von den Überlebenden ausgestoßen werden, klingen für sich genommen immer sinnlos und wirken grotesk. Was erst sollen Überlebende sagen, die als Juden in Paris gerade den Krieg, die Nazis und die Vernichtung überlebt haben?
Wie kann man einen sozialen Sumpf erzählen, ohne dass man als Leser darin rettungslos verlorengeht? - Nanni Balestrini hat für seine Camorra-Geschichte die Methode der Atemlosigkeit gewählt.
Pubertät in einer polnischen Provinzstadt - diese drei harten „P“ garantieren eine groteske Literatur.
Die Kindheit bildet oft einen eigenen Staat im Staat, die Beschreibung einer verstaatlichten Kindheit führt also automatisch zu einer Beschreibung des Staates.
Manchmal sucht sich die regionale Zeitgeschichte eine Lichtgestalt, um an ihr ein Stück Gegenwart abzuhandeln.
Was gibt es Wuchtigeres als einen Stammbaum, dessen Verwurzelungen sich über Jahrhunderte in das Gestein der Geschichte hineinzwängen und diese manchmal sprengen!
Erst wenn man sich auf die Suche nach seiner verdeckten Herkunft gemacht hat, kann man mit dem Leben beginnen.
Wie klingen eigentlich große Ereignisse wie die Kontinentalverschiebung oder die Fluktuation der Bevölkerung? Macht die Zeit an und für sich Geräusche oder verhält sie sich wie Windstille?
Die ideale Geschichte bringt sich während des Erzählens selbst zum Verschwinden.