Herbert Rosendorfer, Huturm

Was gibt es Wuchtigeres als einen Stammbaum, dessen Verwurzelungen sich über Jahrhunderte in das Gestein der Geschichte hineinzwängen und diese manchmal sprengen!

In Herbert Rosendorfers Roman aus den Tiefen der Provinz kommen gleich zwei fulminante Stammbäume zum Tragen. Auf der Vorderseite des Buches ist die Sippschaft des niedergehenden Fürstentums Feldenwerth-Tragans aufgepinselt, im Hinterteil die Hotel-Sippschaft der aufstrebenden Guggemots. Beide Zweige kreuzen sich im Laufe der Zeit mehrmals und lassen dabei nie ihren Sinn aus dem Auge, die fürstliche Dynastie zelebriert den Niedergang, die handwerkliche den scheinbaren Aufstieg.

Zentrum dieses dynastischen Treibens ist der Flecken Huturm, am gleichnamigen See gelegen, Huturm wird schließlich Markt, aus dem biederen Landgasthaus wird das obligate Grand-Hotel des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts.

Die Geschichte beginnt mit einem feierlichen Untergang des Abendlandes, der Mönch Sigisbert schafft die Aufklärung nicht und geht mit seiner Monstranz in den See. Monstranz und Mönch werden nie mehr gesehen, freilich erscheinen Gerätschaft und Personal fallweise als Alptraum oder Séance.

Im verwaisten Kloster nistet sich die Fürstschaft ein und frönt skurrilen Zeremonien, geschätzt sind immer Jagden mit einem infantilen Herzog, der mit verbissenen Milchzähnen auf ausgewachsene Geweih-Träger schießt. Mindestens so äffisch wie das adelige Getue ist das wirtschaftliche Ritual, mit dem sich ein ehemaliger Wandergesell zu einem gastronomischen Wunderwuzzi entwickelt.

Unter dem Einfluss dieser Zeremonien gedeiht letztlich Huturm vor allem dadurch, dass es sich immer streng an den Zeitgeist hält. Auf dem lokalen E-Werk ist beispielsweise zuerst zu lesen, dass Juden unerwünscht sind, später steht auf diesem Gebäude ein Willkommensgruß an die Amerikaner.

Die Geschichte fegt mit einem krummen Zeigefinger über das Provinz-Nest, die Protagonisten freilich treiben es in jeder Epoche so überbordend heftig, als ob von Huturm aus der Weltgeist gezähmt werden müsste. Am Schluss sind die beiden Familiengeschichten abgearbeitet und der Ort hat seine eigene Geschichte überlebt.

Herbert Rosendorfer erzählt die Verquickung von Ort und Sippschaft einerseits im Stile des Fontane‘schen Stechlins, andererseits mit der ausgefransten Genialität eines Herzmanovsky- Orlando. Im Gerüst freilich ist er ein authentischer Historiker, der durchaus Geisteshaltungen, Adelsverknüpfungen oder Gerichtsfälle aus dem irdischen Alltag mit ungehemmter Fabulierlust durch die Jahrhunderte spült.

Vom adeligen Kalauer über den eingefrorenen Bauern-Charme bis hin zur Gerichtsposse tritt alles zu Ehren des Ortes Huturm auf. Für den Leser bleibt großes Gelächter, eine subtile Information über historische Auswüchse und die Botschaft, dass das Verrückteste wahrscheinlich werden kann, wenn es von verrückten Figuren betrieben wird. – Eine aufbauende Nachricht aus der Provinz.

Herbert Rosendorfer, Huturm. Nachrichten aus der Tiefe der Provinz. Roman.
Wien, Bozen: Folio 2012. 186 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85256-598-9.

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Herbert Rosendorfer, Huturm
Wikipedia: Herbert Rosendorfer

 

Helmuth Schönauer 29-02-2012

Bibliographie

AutorIn

Herbert Rosendorfer

Buchtitel

Huturm. Nachrichten aus der Tiefe der Provinz

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Folio-Verlag

Seitenzahl

186

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85256-598-9

Kurzbiographie AutorIn

Herbert Rosendorfer, geb, 1934 in Bozen, lebt in Eppan.