Carolina Schutti, Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein

Erst wenn man sich auf die Suche nach seiner verdeckten Herkunft gemacht hat, kann man mit dem Leben beginnen.

In Carolina Schuttis Roman geht die junge Frau Maja ihren eigenen Herkunftsspuren nach. Sie ist offensichtlich einst durch widrige historische Umstände in einem kleinen Dorf „gelandet“, die erste Bezugsperson ist eine sogenannte Tante, die sie in die wichtigsten Handgriffe des einfachen Lebens einführt.

Aus dieser Zeit früher Ur-Erinnerung stammen auch die Kapitelüberschriften, die das Leben der Ich-Erzählerin strukturieren: „Babuschka / Daunenhöhle / Warme Himbeeren / Hundert Bürstenstriche / Saure Milch / Zimmer drei / Frau Holle“.

Dabei gehen Gerüche, Wortfetzen, Spielanleitungen und Ausblicke auf das Gras in einem Innenhof in einander über. Maja zerlegt ihre Babuschka und lässt die säuberlich aufgestellten Teile ins Freie Blicken, während sie selbst auf den Rücken dieser Figuren voller Sehnsucht in verschwimmende Muster starrt.

Die Tante hat ein Spiel mit dem Geschirr in den Haushalt eingeführt, so muss man immer die Teller von unten nehmen, damit alle gleichmäßig im Umlauf sind und gleichmäßig abgenutzt werden. Und dann ist da noch die Stimme von Marek, einem Mann, der offensichtlich vom letzten Krieg als Gefangener übrig geblieben ist und allein mit seinen Sätzen ein fernes Land voller Leidenschaft und Lebenshunger darstellen kann.

Maja wird erwachsen und zieht in die Stadt, nicht ohne in Schlieren voller Neugierde die neue Umgebung zu erkunden. In jugendlicher Leichtigkeit fährt sie etwa mit zwei Jungs über das Land, das Trio schläft in einem Dreibettzimmer, die Verhältnisse sind offen und federleicht.

Im Schlusskapitel sucht Maja zusammen mit ihrer kleinen Tochter Anja die Wurzeln ihrer Herkunft, Anja nuckelt still vor sich hin, während Maja in abenteuerlichen Zügen über das Land fährt, um „es“ zu suchen.

Denk nicht, dass es Unsinn ist, tagelang im Zug zu sitzen, nur um ein Haus zu suchen, das vielleicht gar nicht mehr steht. Ich muss alles sehen, alles, was meine Mutter gesehen hat, ich möchte spüren, wie lang diese Reise ist, ich möchte hören, wie sich der Klangteppich im Wagen verändert, während wir durch die einzelnen Länder fahren. Anja schläft neben mir, ich halte ihre Hand. (136)

Carolina Schutti vermittelt eine große Sehnsucht, nach etwas Verschollenem und Verklungenem, das vielleicht mit geduldigem Abtasten von Bildern und Erinnerungen wieder zum Leben erweckt werden kann. In jedem von uns steckt eine Erinnerung, als ob wir über weiches Gras gelaufen wären. Carolina Schutti erweckt dieses Gefühl und entlässt uns in eine ferne und dennoch greifbare Gegend voller Glück.

Carolina Schutti, Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein. Roman.
Salzburg: Otto Müller 2012. 144 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-7013-1193-4.
 

Weiterführende Links:
Otto-Müller-Verlag: Carolina Schutti, Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein
Wikipedia: Carolina Schutti



Helmuth Schönauer 08-02-2012

Bibliographie

AutorIn

Carolina Schutti

Buchtitel

Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Otto-Müller-Verlag

Seitenzahl

144

Preis in EUR

18,-

ISBN

978-3-7013-1193-4

Kurzbiographie AutorIn

Carolina Schutti, geb. 1976 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.