Matthias Schönweger, Der Augenblick – Der Wimpernschlag
Manche Bücher nehmen die Aufgabe, einen haptischen Zusatzgenuss zu vermitteln, so ernst, dass sie beinahe in eine Skulptur ausarten. Solche Bücher kommen dann nicht mit der Post, sondern mit dem Sack-Roller auf den Schreibtisch. Man ist im ersten Durchgang vor allem mit dem Blättern und räumlichen Zuordnen des Textes im Raum beschäftigt, man fühlt sich eher unter einem Triumphbogen stehend, als vor einem Buch sitzend.
Matthias Schönweger wählt die Gedichtform immer dann, wenn er das Gedicht sprengen will. Bei ihm haben die Wörter mehrfache Bedeutungen, ein Gedicht sprengen heißt also wirklich, es in die Luft zu jagen. Zu diesem Zweck werden die Wortteile in Großbuchstaben gesetzt und fliegen durch das unter Druck gesetzte Papier und hinterlassen Schmauchspuren, Einschläge, Wortkerben, die noch lange anhalten, wenn das Gedicht selbst schon verschmaucht ist.
„Mein Bruder hält seine Gabel und sein Messer in der Hand. Er hat Hunger, sagt er. »Ich nicht so.« Ich finde es viel zu warm für warmes Essen. Auf Alans nackter Brust ist ein Ausrufezeichen. Man hat ihm schon dreimal den Brustkorb aufgeschnitten, aber es sieht nur aus wie ein Mal, und er lebt noch.“ (S. 7)
„Die Hypothese von Condorcet, dem dieses Buch gewidmet ist, war, dass die Ideale der Aufklärung sich mehr oder minder automatisch verwirklichen würden, wenn die Bevölkerung erst einmal das Joch des Ancien Régime abgeschüttelt hätte. Zweihundert Jahre später müssen wir feststellen, dass diese Hypthoese allzu optimistisch war.“ (S. 9)
„Es gibt jede Menge Luftlöcher am Himmel, weit jenseits der Wolken. Die Menschen auf der Erde können sie leider nicht sehen. Erstens ist Luft für sie unsichtbar. Und zweitens sind Löcher für sie unsichtbar. Luftlöcher sind also doppelt unsichtbar.“ (S. 7)
Geschichten, die gut ausgehen, sind in der Gegenwartsliteratur ziemlich selten, weil die Anleitung zum Glücklichsein meist in den Sachbüchern verhandelt wird.
„Zweige peitschten Amy ins Gesicht, sie rutschte aus und fiel mit einem Aufschrei hin, stand nass wieder auf und kämpfte sich weiter zwischen den rauschenden Bäumen hindurch. Regenblind, mit eingezogenem Kopf, lief sie rutschend den Weg entlang, während das Unwetter ringsum donnerte und toste wie ein aufgewühltes Meer.“ (S. 12)
Magische Wörter zwingen dazu, die Eigen-Phantasie in Sekundenschnelle anzuregen und auszuleben. Das schöne „Winterrot“ ist voller Widerspruch, trifft doch die Kälte auf die Wärme. Der Raser wird an rotglühende Bremsscheiben denken, wenn er im Winter sein Fahrzeug gerade noch zum Stehen bringt, ein Poet wird von der untergehenden Sonne schwärmen, die gerade im Winter besonders erhitzt untergeht, und Outdoor-Freaks denken an rot angelaufene Nasen oder Wangen, wenn die Kälte ungebremst auf das Antlitz trifft.
„Eliot freut sich riesig, denn die Ferien haben begonnen. Gleicht bricht er auf zu Isabella, dem tollsten Rattenmädchen der Welt. Gemeinsam wollen sie wandern, über die Berge bis ans Meer. Der Rucksack ist schon gepackt, mit Zelt und allem Drum und Dran.“ (S. 7)
„Welche Rolle sollten die digitalen Medien in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen spielen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns mit grundlegenderen Fragen befassen. Auf welche Zukunft wollen wir sie vorbereiten? Können digitale Medien hierfür produktiv genutzt werden? […] Oder steht der Einsatz digitaler Medien dem Erreichen der gewünschten Entwicklungsziele entgegen, abhängig von Entwicklungsphasen, Umfang und Art des Einsatzes?“ (S. 9)
„Ich heiße übrigens Herbert Lemon. Die meisten nennen mich Herbie. Wie man an meiner Kappe sehen kann, bin ich der Sachenfinder des Grand Nautilus Hotels. Irgendjemand hat mir mal erzählt, dass die meisten Hotels keinen Sachenfinder beschäftigen, aber das kann nicht stimmen. Was tun die mit all den verloren gegangenen Gegenständen?“ (S. 10)