E. M. Forster, Die Maschine steht still

Die Literatur belohnt sich manchmal selbst, indem sie Prophezeiungen, tatsächlich eintreten lässt und eine Post-Dystopie daraus macht.

E. M. Forster erzählt in seiner über hundert Jahre alten Geschichte von einem totalitären Internet, das die Menschen überfordert und als Diktatur bei der Stange hält. Im Zentrum des Geschehens steht die „Maschine“, alles wird durch sie gesteuert, sie ist weltweit vernetzt, ohne sie geht gar nichts. Es gibt sogar einen eigenen Knopf, mit dem angepasste Literatur abgezapft (heruntergeladen) werden kann.

Vor dieser Maschine sitzt die Mutter Vashti und redet mit ihrem Sohn Kuno, der am anderen Ende der Welt in die Maschine spricht und etwas auf dem Herzen hat, was er nicht der Maschine anvertrauen will. Dieses rudimentäre Skype wird nämlich rigoros abgehört und sein schroffes Display lässt Gefühle nur als Schattenrisse zu. Mutter soll doch so lieb sein, und ihn hinter Brasilien besuchen.

Mutter ist ziemlich genervt, weil sie noch einen Kulturtermin hat und die Maschine blockiert ist. Dennoch fasst sie sich ein analoges Herz und fliegt mit dem Luftschiff ans andere Ende der Welt. Die Reise ist furchtbar, überall sind Leute, die völlig anders riechen als von der Maschine empfohlen. Manche sind gerade zur Vermehrung nach Sumatra geflogen und schauen wie alle frische Vermehrten nicht gerade glücklich drein.

Die Welt ist aus den Fugen geraten, eine Ökokatastrophe hat alles zerstört, es gibt im Freien kaum noch Sauerstoff und alles muss sich unterirdisch vor der Maschine abspielen. Kuno hat offensichtlich den Verstand verloren, wie die Mutter richtig bemerkt. Sie kann ihm nicht helfen, denn er will aus dem System aussteigen, was die sofortige Heimatlosigkeit nach sich zieht. Kuno ist sogar schon einmal draußen gewesen und hat so etwas wie den Zipfel einer Sonne gesehen. Seither ist der Korrekturapparat hinter ihm her.

Mutter kann nichts machen und bricht in Tränen aus. Kuno entwickelt so etwas wie ein Ausstiegsszenario aus der Maschine, die Atemmasken werden abgeschafft, die Religion wird wieder eingeführt, die Heimatlosen werden als eigene Kommune anerkannt. Kuno küsst seine Mutter, es ist dies die einzige Berührung seines Lebens. Jetzt werden sie sterben oder verglühen oder was. Aber die Maschine hat ausgedient.

Die Menschheit hat ihre Lektion gelernt! (78)

Das ist der schöne Nachteil dieser Dystopien, wenn sie Realität geworden sind, man kann sie nur noch als Befund einer schrägen Wirklichkeit lesen. E. M. Forster hat eine wilde Geschichte des Internets geschrieben, obwohl er nachweislich vor dessen Erfindung gestorben ist. Auch das kann die Literatur.

E. M. Forster, Die Maschine steht still. A. d. Engl. von Gregor Runge. [Orig.: The Machine Stops, Oxford 1909]
Hamburg: Hoffmann & Campe Verlag 2016, 78 Seiten, 15,50 €, ISBN 978-3-455-40571-2

 

Weiterführende Links:
Verlag: Hoffmann & Campe: E. M. Forster, Die Maschine steht still
Wikipedia: E. M. Forster

 

Helmuth Schönauer, 23-10-2016

Bibliographie

AutorIn

E. M. Forster

Buchtitel

Die Maschine steht still

Originaltitel

The Machine Stops

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Hoffmann & Campe Verlag

Übersetzung

Gregor Runge

ISBN

978-3-455-40571-2

Kurzbiographie AutorIn

E. M. Forster, geb. 1879 in London, starb 1970 in Coventry.