Ingrid Mascher, Flugblätter

Der Typenschein der „Flugblätter“ sagt es sehr genau: Lyrik kommt an gelungenen Tagen im Flug daher, Gedichte strömen durch die Zeit schwerelos wie die berüchtigten Blätter im Herbst, und eine politische Komponente darf im Zeitalter der Apps ebenfalls angenommen werden, Lyrik bringt zwischendurch auch Botschaften, die früher einmal im Zeitalter einer haptischen Öffentlichkeit über Flugblätter verbreitet worden ist.

Ingrid Mascher „berührt“ mit ihren Gedichten alle diese Komponenten, das lyrische Ich streift als Welt-Flüchtling in alle Windrichtungen davon, und wenn es einmal kurz zur Ruhe kommt, verliert es seine Haut und wird mehr als nackt von der Schutzlosigkeit überfallen.

Ferne // Ich brauche keine Ferne / ich hab alle Landschaften / und Jahreszeiten in mir // willst du meine Nähe bereisen? // Doch sei furchtsam / du wirst Wüstenwind / und Vulkanasche / begegnen! (24)

Verloren und verstreut in alle Winde sind oft nur die Vögel imstande, so etwas wie eine warme Mahlzeit in Gestalt einer aufgetauten Jahreszeit aufzunehmen.

Schwalben // erst nur der Ton / dann der Flug / plötzlich / Sommer (32)

Hinter der Sehnsucht nach einer fühlbaren Jahreszeit steckt oft auch der Wunsch, wenigstens in einer Zeit geordnet anzukommen, wenn es schon keine Orte für diese Sehnsucht gibt.

Südwind // das Licht taut / aber ich vereise / und WANN KOMMT / MEINE JAHRESZEIT (26)

So sind die Motive in den Flugblättern oft auch aus der sprach-fremden Biographie Kaspar Hausers entnommen. Flüchtlinge auf der Suche nach Asyl, Fremde in unwirtlichen Behausungen, an den Rand gedrückte Existenzen, die nicht mehr sprechen sondern nur noch „Laut geben“ bevölkern die Gedichte unter der lyrische Haut gekränkter Jahreszeiten und deformierter Sprachen.

In einem klassischen Flugblatt werden die entscheidenden Fragen zu einem krassen Alltag gestellt.

Wem gehören / die leeren Häuser // sie gehören denen / die in sie flüchten und bereits wissen / daß sie wieder / auf die Straße gejagt werden / wenn der Winter kommt / aber im Frühling /und Sommer / blühen sie in ihnen (6)

In einem Nachspann antwortet der Dichter und Philosoph Jörg Waldhauser aus Hall in Tirol mit einem Nach-Gedicht:

Diese Sprache ist also heute möglich. Diese Sprache weicht nicht aus. Sie lässt sich treffen und sie trifft. Diese Frau, diese Lyrikerin Ingrid Mascher spricht diese Sprache. Mit ihr können wir leben. Zauber des Seins, des Lichts, Zauber des Nichts. (52)

Ingrid Mascher bündelt die politische Kraft des Flugblattes mit dem zeitlosen Sog der Lyrik, Flugblätter sind Wesen, die uns manchmal zufliegen, an den meisten Tagen freilich müssen wir sie uns erkämpfen.

Ingrid Mascher, Flugblätter. Gedichte. Nachwort von Jörg Waldhauser.
Zirl: Edition BAES 2013. 56 Seiten. EUR 9,-. ISBN 978-3-9503233-9-9.

 

Weiterführender Link:
Edition BAES: Ingrid Mascher, Flugblätter

 

Helmuth Schönauer, 12-05-2013

Bibliographie

AutorIn

Ingrid Mascher

Buchtitel

Flugblätter. Gedichte

Erscheinungsort

Zirl

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition BAES

Seitenzahl

56

Preis in EUR

9,00

ISBN

978-3-9503233-9-9

Kurzbiographie AutorIn

Ingrid Mascher, geb. 1962 in Hall in Tirol, lebt als Weltenbummlerin Hall in Tirol.