Was arbeitest du? - Ich arbeite jedes Jahr für Weihnachten. Gemessen an diesem häufig geäußerten Kerndialog über Weihnachten arbeiten so gut wie alle Berufsgruppen an diesem „unbeweglichen Fest“, das als fixe Höhenkote für die Vermessung des Jahres gilt.
Ludwig Roman Fleischer hat aus seiner Schütte der Fiktionen, worin sich hunderte Geschichten über skurrile Menschen, Begebenheiten und Gedankengänge tummeln, fünfzehn „Weihnachtsgeschichten“ ausgewählt.
In der aktuellen Auslage werden drei Schwerpunkte kuratiert:
a) Ideen und Spintisierereien über die Reproduktion
b) Arbeiten für die Installation von Kommerz und Konsum und das Aufräumen der Spätfolgen
c) Rollenbilder und ihre Implosion anlässlich des Festes
Die Geschichten haben zudem einen doppelten Boden, indem sie einerseits die offizielle Sprachregelung bedienen und andererseits in den geheimen Zwischenräumen des Erzählens heimtückische Realitäten bunkern. Oft entsteht eine historische Mehrdimensionalität, indem auf den Plot einer Bibelstelle die Ausschweifung einer Chronik aus der Gegenwart gelegt wird.
„Joseph im Advent“ (9) nennt sich die Einstimmungsgeschichte, worin sich ein Paar auf den Weg in die Einschicht macht, um in therapeutischen Sitzungen seine Beziehung zu vertiefen oder zu retten. In klassischen Sitzkreisen, Intensivritualen und Meditationsübungen kommt an vier Adventtagen so alles zum Vorschein, wofür eine Person an der Volkshochschule im Dauer-Abo vier Jahre braucht. Die einzelnen Sitzungen sind als Verschärfungen und Entflammungen des Adventkranzes gedacht. Spätestens nach der vierten Kerze kommt das Ungeheure ans Tageslicht. Miriam ist schwanger, ohne dass sie den dazu passenden Sex gehabt hätte. - Jetzt scheint die Beziehungsgeschichte erst richtig loszugehen.
In einem anderen Adventarrangement in schwarz-weiß treffen zwei sogenannte Rudis in der Einrichtung „Obdach“ aufeinander. Für eine Weile scheinen die Rollen vertauscht zu sein, der Erfolgreiche kratzt sein letztes Gefühl zusammen, um dem Obdachlosen eine gute Zeit zu ermöglichen. Der Obdachlose gerät irgendwie ins Staunen, dass die materielle Welt so kompliziert ist. Der Weihnachtstreff lässt die beiden über ihr bisheriges Leben räsonieren, das zwar mit unterschiedlichen Accessoires ausgestattet ist, aber der gleichen Lebensphilosophie huldigt: Es ist letztlich dem Zufall geschuldet, ob sich ein Lebensentwurf ausgeht. Am Weihnachtstag geht es dann wieder zurück ins angestammte Leben, der eine packt seine Sachen für die Straße, der andere die Schier für den Urlaub mit der Freundin. „2 x Advent“ (23) heißt die Geschichte, die sich knapp wie ein Sonderangebot gibt.
Unter „nachhaltige Weihnachten“ stellen sich eine Umweltaktivistin und ein Bauunternehmer etwas gänzlich Verschiedenes vor. Die eine will eine Perspektive für die Zukunft, der andere ein zukunftstaugliches Kind. Als der Baumeister immer drängender wird, und notfalls ein Kind adoptieren will, lagert die Therapeutin ihr Interesse aus und beginnt eine gleichgeschlechtliche Beziehung mit Tamina. Die beiden starten das Projekt künstliche Befruchtung, greifen zum Glückstopf Samenspende und losen, wer das Ei austrägt. Damit es gerecht zugeht, werden die Eier noch zusätzlich vertauscht. Die „Aktion Nachhaltigkeit“ läuft wie am Schnürchen und wird durch einen Kaiserschnitt beendet. Der Bub des Projektes entwickelt sich prächtig. Selbst die Aufklärung, wie er entstanden ist, bewältigt er hervorragend und macht daraus die erste Weisheit für sein Leben.
Verworrene Zeugungspläne spielen auch die Hauptrolle in „Nikolaushotline“ (50). Nikolaus schminkt sich für den Auftritt vor den Kindern, heuer ist auch eine gewisse Pia auf der Adressliste, mit ihr hat er einmal eine Beziehung gehabt, und das Kind ist jetzt wohl sieben Jahre alt und wird auf den Nikolo warten. Der Auftritt freilich läuft aus dem Ruder, Pia hat kein Kind, sie hat es abgetrieben, weil der Vater nichts getaugt hätte.
Die besten Weihnachten werden der Beamtenschaft nachgesagt. Ihre Protagonisten dehnen das Fest nämlich auf das ganze Jahr aus, sodass ununterbrochen Weihnachten ist. Oberamtsrat Horn frisst sich zu diesem Zweck zu Weihnachten alles auf die Rippen, damit er anschließend seine „Aktivdiät im neuen Jahr“ (138) starten kann. Das Jahresprogramm erweist sich als Rallye durch die Kalorien, bis zum Sommer zeigt die Leibeskurve nach unten, dann zieht sie wieder an, ehe zu Weihnachten der nächste Peak erreicht ist. Da ein Beamter auf spärliche Bewegung konditioniert ist, müssen Kleinigkeiten wie das Betreten eines Raumes, das Sitzen und Aufstehen für die Kalorientabelle herhalten.
Was immer die Menschen auch unternehmen, niemand entkommt Weihnachten, das sich felsenfest in den Jahresgezeiten zeigt als unbewegliches Fest.
Ludwig Roman Fleischer, Unbewegliches Fest. Weihnachten alt und neu. Erzählungen
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2024, 142 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-903125-93-3
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Ludwig Roman Fleischer, Unbewegliches Fest
Wikipedia: Ludwig Roman Fleischer
Helmuth Schönauer, 18-11-2024