Markus Linder, Voradelberg

Wenn man eine sogenannte Heimat halb zu sich heranzoomt, breitet sich triefende Ergriffenheit aus, wenn man sie ganz zu sich heranlässt, führt sie in ihrer Skurrilität zu befreiendem Gelächter.

Markus Linder, Beute-Tiroler, Musiker, Schriftsteller und Entertainer, zoomt sich als mittlerweile Außenstehender mit Herz-Saft in seine Ur-Heimat zurück. „Voradelberg“ nennt sich seine Exkursion, denn die Vorarlberger adeln sich selbst, indem sie ihr Land schludrig aussprechen und zu Voradelberg machen.

Die Heimatkunde entpuppt sich als Sprachkunde, denn alles, was der Vorarlberger anfasst und unverwechselbar macht, tut er mit seiner Sprache. Oberstes Gebot ist dabei die Sprachökonomie. So haben die Alemannen die Lautverschiebung offensichtlich ausgelassen, weil sie so schneller unterwegs sind.

„Ihakoazit“ ist gestoppte 0,53 Sekunden schneller als „Ich habe keine Zeit.“ (47)

Die kurzen Sätze, die wie semantische Knüller hingeknallt werden, unterstützen freilich eine Philosophie des bedächtigen Lebens. Nicht hudeln vor dem Sterben! heißt die Parole. Und wenn der Tod einmal eingetreten ist, geht der Körper in die sogenannte Grundstellung über.

Natürlich hat auch Vorarlberg einen bestimmten geographischen Landstrich, in dem unter den Langsamen die Langsamsten wohnen. Hinter Rankweil hinauf zum Furka-Paß wohnen die sogenannten Laternser, die in Witzen der Inbegriff von Zeit-Aussteigern sind.

Wenn man so die Schlüsselwörter der Alltagssprache untersucht, entsteht vordergründig der Eindruck, dass „scheißen“ das Lieblingswort der Vorarlberger ist. Es gibt keine Situation, zu der dieses Wort nicht passen würde.

„I schieß dr dri! – Lass mich in Ruhe!“; „I ha da Schiißer – Ich habe Durchfall“; „Jo schiißa! – und sonst noch was!“ (90)

Aus den beiden Tugenden schaffen und sparen ergibt sich auch die Faustregel beim Trinken: Ein halber Dampf ist hinausgeworfenes Geld! (86) Und der Höhepunkt des Saufens besteht in einem lustvollen Ausrasten des Gesichtes: „Es ischt eam s’Gsicht verreckt.“

Markus Linder wendet in seinen Songs diese auszuckenden Sprachketten immer wieder an, weshalb er als Analyse gewisser Vorarlberger Zustände einfach seine Song-Texte zitiert.

Und bei aller Liebe zu seinen Zeitgenossen verweist der Autor auf die Schmach, die dem Land nach dem ersten Weltkrieg widerfahren ist, als man zur Schweiz wollte, haben diese cool nein gesagt. Die Vorarlberger sind auf dem Weg in die Schweiz mitten im Rhein abgesoffen und mussten wieder umkehren. Diese missglückte Heldentat sitzt an manchen Lagerfeuern den Urenkeln immer noch in den Knochen und erklärt das unterkühlte und abwehrende Verhältnis zu Wien.

Generell lässt sich auf Vorarlbergisch alles in der halben Zeit sagen, weshalb dieses Buch mit hundert Seiten auskommt um alles zu sagen, was die Gsis so verrückt liebenswert macht.

Markus Linder, Voradelberg. Heimatkunde für Fortgeschrittene.
Innsbruck: Haymon 2013. (= Haymon TB 137). 103 Seiten. EUR 9,95. ISBN 978-3-82518-937-6.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Markus Linder, Voradelberg
Wikipedia: Markus Linder

 

Helmuth Schönauer, 26-07-2013

Bibliographie

AutorIn

Markus Linder

Buchtitel

Voradelberg. Heimatkunde für Fortgeschrittene

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon-Verlag

Seitenzahl

103

Preis in EUR

9,95

ISBN

978-3-82518-937-6

Kurzbiographie AutorIn

Markus Linder, geb. 1959 in Dornbirn, lebt in Axams.