Nicolas Mahler, Der Mann ohne Eigenschaften

Das gehört zu den brennendsten Fragen der Literaturgeschichte: Wie kann man einen dicken Roman, den man kaum lesen kann, so straff zeichnen, dass man ihn wundersam leicht anschauen kann?

Nicolas Mahler ist der Meister der Reduktion, Figuren sind ihm oft zu üppig und werden deshalb meist weggelassen, das Gesicht des Protagonisten ist nur lästig, weshalb es zu einer Nasen-Wurst reduziert ist. Da kommt ihm das erste Kapitel aus Musils Monsterwerk der Mann ohne Eigenschaften gerade recht, dieses ist nämlich mit der wundersamen Fügung überschrieben: „Woraus bemerkenswerterweise nichts hervorgeht.“

Nicolas Mahler lässt nun seinen Naseputzen-Mann in nichtssagenden, beinahe amtlichen Privat-Posen auftreten. Der Mann ohne Eigenschaften versinkt in einem Ohrensessel, besteigt einen Drehstuhl, huscht durch die Stadt und trifft auf seine Zwillingsschwester, die Probleme mit der Auswahl der Garderobe hat. Der Mann ohne Eigenschaften ist eine Figur, die in allen Lebenslagen perfekt im Ambiente verschwinden kann.

Diesem geschmeidigen Lebensstil des Anpassens steht bei Mahler und Musil der animalische Verbrecher Moosbrugger gegenüber, der eine Art hormongesteuerten Humanismus entwickelt hat und wahrscheinlich deshalb in der Zelle schmoren muss. Während er bei Musil als Studienobjekt für forensisches Desaster herhalten muss, liefert er bei Mahler die ideale Vorlage eines Zellen-Realismus, die Welt ist gesiebte Luft, die sich an den Gitterstäben der Einkerkerung bricht.

Moosbrugger dachte besser als andere, denn er dachte außen und innen. Er sagte, Gedanken würden ihm gemacht. (72)

Moosbrugger befindet sich in einem Zeitraum ohne Eigenschaften, kurz nachdem er diesen ergreifenden Gedanken formuliert hat, wird ihm die Suppe durch die Zellentür geschoben.

Selbstverständlich wird in der Graphic Novel auch die große Parallelaktion gewürdigt, in der es darum geht, dem deutschen und österreichischen Kaiser jeweils ein noch größeres Jubelfest zu bereiten. Die österreichischen Figuren mit ihrem Federnbusch auf der Birne überzeugen dabei durchgehend und übertreffen die deutschen Napoleon-Figuren „spiegelnd“. Die deutsche Generalität hat nämlich einen Verfolgungswahn, wann immer sie in einen Spiegel schaut, grinst daraus ein Österreicher hervor.

Berühmt ist der Mann ohne Eigenschaften letztlich durch seinen Möglichkeitssinn. „Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.“ In der graphischen Auflösung flüchtet der mit der großen Nase aus der Szenerie mit der Ansage: „Es könnte ebensogut anders sein.“

Selbst wenn man den echten Mann ohne Eigenschaften nur in Auszügen gelesen hat, wirft einen die Logik des Nicolas Mahler um. Wie nun, wenn der Mann ohne Eigenschaften eine einfache Geschichte ist, die sich leicht erzählen und vortrefflich zeichnen lässt? – Es könnte so sein!

Nicolas Mahler, Der Mann ohne Eigenschaften. Nach Robert Musil. Graphic Novel.
Berlin: Suhrkamp 2013.(= st 4483). 156 Seiten. EUR 19,60. ISBN 978-3-518-46483-0.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Nicolas Mahler, Der Mann ohne Eigenschaften
Wikipedia: Nicolas Mahler

 

Helmuth Schönauer, 11-12-2013

Bibliographie

AutorIn

Nicolas Mahler

Buchtitel

Der Mann ohne Eigenschaften. Nach Robert Musil

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Suhrkamp Verlag

Illustration

Nicolas Mahler

Seitenzahl

156

Preis in EUR

19,60

ISBN

978-3-518-46483-0

Kurzbiographie AutorIn

Nicolas Mahler, geb. 1969, lebt in Wien.