Roberta Dapunt, Nauz

Manchmal schwirrt ein seltsamer Begriff wie eine Zauberformel aus einem versteckten Reich durch die Literatur und lässt dem Leser keine Ruh, bis nicht die Lösung gefunden ist.

Roberta Dapunt überschreibt ihren Gedicht-Band mit Bildern mit der Zauberformel „Nauz“. Und was wie ein Märchenwort aus einer verspielten Kindheit klingt, ist nichts anderes als das ladinische Wort für Futtertrog.

Tatsächlich zeigt sich der Ablauf eines bäuerlichen Jahres vielleicht als bewegtes Stillleben rund um den Futtertrog. Einerseits werden Tiere daran gefüttert, andererseits sitzen die Menschen nach der Schlachtung des Tieres selbst um dieses Tier herum wie um einen Futtertrog.

Als Hauptmotiv der Bilder und knapp zwanzig Gedichte dient das Füttern, Großziehen und Schlachten eines Schweins, voller Hingabe, gepaart mit großer Demut und Selbstverständlichkeit.

„Ich will dir erzählen, wie die Langsamkeit an diesem Ort nach dampfenden Eingeweiden riecht. Während der Winter ungerührt weiter schneit, ist der Blick des Schweins, das am Boden zuckt, offen, es weiß nicht, dass es sterben wird, und dennoch versucht es verzweifelt, die Verwirrung loszuwerden, es zappelt, bäumt sich auf, verharrt. Noch stellt es Fleisch und Benommenheit aus, dann hält es still, ergeben.“ (6)

Aus diesem Blickwinkel sind die Gedichte aufgenommen wie Bilder in einer Außenperspektive, die während des Blicks zu einer Innen-Aufnahme wird. Objekt und Subjekt tauschen die Rollen. Die Analogie liegt nahe, dass wir, die wir noch am eigenen Fleisch hängen, sterblich sind wie das Tier, das vor unseren Augen in Fleisch übergeht.

Dieser archaischen Konstellation des Eingangsgedichtes unterwerfen sich auch die anderen bäuerlichen Begebenheiten eines vollen Jahres. Wer bezwingt das Wetter? Kommt jemand auf Besuch in die Entlegenheit? Ist die ladinische Sprache überhaupt eine Sprache, wenn sie vom eigenen Hof entfernt wird?

„Keine Fremdsprache, Bauer, keine dir unbekannte Sprache ist die Welt. / Dasselbe Tuch um den Kopf und der zarte Feldspinat auch jenseits der Berge. / Wuchert ladinisches Gras hier auch überall, im Stall und um den Mist,. / das feinste Kräutlein bleibt jedes Jahr der bittere Klee, der rundum sprießt.“ (72)

Alma Vallazza erschließt uns in ihrer Übersetzung eine geheimnisvolle Sprache, die im Original von einem zauberhaften Leben erzählt in einem geheimnisvoll nahen Land. In den Gedichten Roberta Dapunts wird nichts geschönt, aber die Wirklichkeit wird in eine Logik umgesetzt, die unmittelbar in Poesie übergeht. Das Leben ist karg, überschaubar und dennoch unendlich. Dieser Nauz, um den sich letztlich der Sinn des Lebens dreht, kann in seiner Notwendigkeit auch glücklich machen. - Eine fast verschollene Kunst, aus dem harten Alltag den Überfluss von Glück abzuschöpfen!

Roberta Dapunt, Nauz. Gedichte und Bilder. Ladinisch und deutsch. A. d. Ladin. von Alma Vallazza.
Wien, Bozen: Folio 2012. 73 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-85256-582-8.



Weiterführender Link:
Folio-Verlag: Roberta Dapunt, Nauz

 

Helmuth Schönauer 14/03/12

Bibliographie

AutorIn

Roberta Dapunt

Buchtitel

Nauz. Gedichte und Bilder. Ladinisch und deutsch

Originaltitel

Nauz

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Folio

Übersetzung

Alma Vallazza

Seitenzahl

73

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-85256-582-8

Kurzbiographie AutorIn

Roberta Dapunt, geb. 1970 in Abtei, lebt in Abtei.