Rudolf Lasselsberger, Junihitze

h.schoenauer - 07.03.2025

rudolf lasselberger, junihitzeWas geschieht mit all den Nachrichten, die ununterbrochen aus dem Netz, TV und aus Zeitungen fallen? – Sie kondensieren zu Junihitze, die über ein Kippfenster zwischen dumpfer Wohnung und dampfender Terrasse hin und her schwebt. Sie macht den Helden schlaflos und schwindlig.

Der Held in „Junihitze“ von Rudolf Lasselsberger ist so geschafft, dass er die meiste Zeit als Doppelspitze auftreten muss. In einem dialektischen Set ähnlich Wladimir und Estragon in Samuel Becketts Warten auf Godot treten Franz und sein Ich auf, indem sie jeweils sich selbst in einem bestärkenden Monolog Seufzer, Abnormitäten und Störungen zuraunen.

In Zaum gehalten wird diese von Hitze geprägte Stimmung von der sogenannten „Gelben Linie“, einer Markierung, wie sie in U-Bahnstationen aufgemalt ist, um die Passagiere vor einfahrenden Zügen im Sicherheitsabstand zu halten. Die Nachrichten könnte man als einfahrende Züge lesen, welche die Konsumenten erschrecken und überfahren, wenn sie sich nicht hinter diese gelbe Linie retten.

„Junihitze“ ist ein komprimierter Text, der gerade durch Ausfransungen und Fadeouts besticht. Die Themen kommen meist über die Kanäle des ORF in die Rezeptions-Bude geschneit, in der der Held mit seinen Gedanken zu „überwintern“ versucht, wie das Durchtauchen bei Revolutionären heißt.

Der Held hat durch prekäre Arbeiten und körperliche Ausmergelung in einem Postzentrum seinen Körper kaputt gemacht und zum Überleben eine Art Sozialromantik entwickelt, wonach es sich in einer gerechten Welt erstrebenswert schön leben ließe, wenn nicht diese Ungerechtigkeit zwischen oben und unten wäre.

Die Junihitze spielt im Jahre 2021, manchmal wird ein konkretes Datum genannt, dann wieder gibt es Mini-Exzerpte zur Lage des Sommers, wie etwa dem Untersuchungsausschuss über Ibiza oder das bunte Chat-Treiben der türkisen Regierungsmitglieder. Oft werden Nachrichten heruntergeladen und vor die gelbe Linie des Helden gestellt, damit dieser diese Zumutung halbwegs übersteht. Denn Themen wie Milliardärsranking, ATX-News, Insider-Chats oder einfach das TV-Tagebuch zu einem bestimmten Tag sind eine kaum zu überstehende „Tschoch“.

Bewältigen lässt sich diese Flutung mit kaputten Nachrichten nur durch zynischen inneren Monolog, wenn sich die Identität in zwei Teile zerlegt und zu reimen beginnt.

„Wo ist die Rettung, wo ist ein Gedicht. – Ein Reim rettet auch oft in Sekundenschnelle!“ (53)

Tatsächlich sind es literarische Reminiszenzen, die oft einen Tag erträglich machen. Im Bus erscheint dem Gequälten Friederike Mayröcker, an anderer Stelle treten zwei Karins als literarische Hilfe auf, einmal Karin Fleischanderl als Übersetzerin und dann Karin Ivancsics als Blumendiebin.

Als Nonplusultra der Hitze gilt schließlich der Film „Sonne Halt“ von Ferry Radax und Konrad Bayer, worin dieses Desaster um einen von poetischer Hitze gequälten Körper beschrieben ist. Der Held hat an diesem Tag die Massage verschlafen, obwohl sie überlebensnotwendig wäre für den geschundenen Körper.

Als die Massage später nachgeholt wird, fühlt sich Franz „rundumerneuert“ und kann sogar mitten im Lockdown seine Cousine treffen, die ihm beim Aufspüren seiner Verstörung auf die Sprünge hilft. – „Ich komm mit dem Ganzen meines Lebens nicht zurecht. All die Erinnerungen, die stückweise und als ganze Fläche, eine 3D Erscheinung, eine um sich rotierende Holodecksimulation, alles auf einmal und dann doch von Augenblick zu Augenblick.“ (62)

Hinter der gelben Linie entwickeln simple Mails eine eigene Aussagekraft. Ein Satz von Herta formt sich zu einem erlösenden Gedicht: „Gestern war ich schon eingeschlafen / heute Termine abgebügelt / über diesen Sommer kann ich nur den Kopf schütteln!“ (171)

Irgendwo ist immer Fußball, es schneit Spiele und Weltmeisterschaften auf dem Bildschirm. Franz versucht den Überblick zu bewahren und das Wesentliche in Schlüsselbegriffe zu verpacken. Einmal verflüchtigt sich eine ganze Seite zu einem leeren Blatt, auf dem nur zwei entscheidende Transfers abgebildet sind. „Alaba zu Real Madrid // Arnautovic zu Bologna“ (171) Anschließend dünnen die Seiten aus bis zur Leere.

Ein Flash aus der Kindheit lässt die Urangst wieder aufbrechen: „Eifersucht und Verlustangst haben mich von klein auf im Griff. Verschwinden nur, wenn ich am Meer liege. Am Strand von Kioni.“ (157)

Dazwischen sind Vignetten von Erich Sündermann ausgelegt wie Vogelfutter bei depressivem Wetter. Die Themen sind kleine Beipackzettel einer visuellen Medikation: Der Tänzer tanzt (19) / Berg der Wahrheit (43) / Seltsame Drehkörper (121) / Das Pferd (198).

Der Schlussakkord ist einprägsam wie das Morsealphabet bei höchster Not: SOS. (222)

Rudolf Lasselsberger entwickelt die „gelbe Linie“ zu einem originären Genre für das Erzählen einer gesellschaftlichen und individuellen Hitzekrise. Man kann sein Projekt auch als Vorahnung eines Klimakollaps‘ lesen. Das kleine Kippfenster zwischen Wohnung und Terrasse spendet stundenweise Trost, während sich allmählich die Dauer-Ermunterung im inneren Monolog durchsetzt: „Darfst eh!“

Rudolf Lasselsberger, Junihitze. Die gelbe Linie Teil 2. Roman. Mit Zeichnungen von Erich Sündermann
Berlin: united p.c. Verlag 2024, 228 Seiten, 24,90 €, ISBN 111-2-0000-0342-0

 

Weiterführende Links:
united p.c. Verlag: Rudolf Lasselsberger, Junihitze. Die gelbe Linie Teil 2
GAV – Rudolf Lasselsberger
Bildergeschichten: Erich Sündermann

 

Helmuth Schönauer, 02-12-2024

Bibliographie
Autor/Autorin:
Rudolf Lasselsberger
Buchtitel:
Junihitze
Erscheinungsort:
Berlin
Erscheinungsjahr:
2024
Verlag:
united p.c. Verlag
Reihe:
Die gelbe Linie Teil 2
Illustration:
Erich Sündermann
Seitenzahl:
228
Preis in EUR:
24,90
ISBN:
111-2-0000-0342-0
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Rudolf Lasselsberger, geb. 1956 in Schlatten, lebt in Wien.

Erich Sündermann, geb. 1952 in Ruprechtshofen, lebt in Wien.