Susann Sitzler, Total alles über die Schweiz

Damit ein Staat einen Namen hat und weltweit anerkannt ist, muss er in Werbung, Mythen und Skurrilitäten investieren. Die Schweiz ist wahrscheinlich das ironischste und kreativste Mythengebilde unter dem globalen Staatenhaufen.

Susann Sitzler rollt in bewährter „folio-Manier“ die Schweiz mit Fakten, Graphiken und Analysen vor dem Leserauge aus. Begriffe wie Kantönligeist, Schweizerkäse oder Schweizermesser beschreiben die Schweizer Seele in Wort und Ding als Unikat.

Das Hauptgerüst dieser witzigen Daten-Parade bilden Dinge, die unverwechselbar schweizerisch sind, das Bankgeheimnis, Birchermüsli oder Heidi. Die gängigsten Namen im echten Gebrauch sind nicht Heidi oder Urs sondern Daniel und Maria. Unter den Schreibnamen sind ähnlich wie in der Schweizer Literaturgeschichte am stärksten vertreten: Schmid, Meier, Keller oder Widmer. Am schweizerischsten wirken dagegen Friedli, Liechtli, Hösli oder Sturzenegger. (20)

Die Weißkreuzler bezeichnen aber nicht nur sich selbst mit lustigen Namen sondern ziehen auch über die Andersartigen ordentlich her. „Fremde Fötzel“ werden abschätzig Fremde genannt, „Sauschwob“ ist ein verhasster Deutscher unabhängig vom Dieselskandal, „Siech“ kann alles sein, was nach Urin stinkt oder wie einer aussieht. (26)

Umso geschlechtsreifer posiert dann auch die Bundeshymne mit der Zeile: „Trittst im Morgenrot daher.“ (68) Das ist vielleicht ein guter Tipp, die Erotik der Schweizer zu verstehen, indem man einfach ihre Bundeshymne herunterliest. Als eigenes Kapitel fehlt die Erotik in dieser Aufstellung, wahrscheinlich, weil es außer Heidi keine gibt. Das erklärt vielleicht auch die seltsamen Komiker wie Emil, Beat oder Simon, die in den Kantonalen Lachzellen großes Gelächter verbreiten, außerhalb der Schweiz aber als schwere Kost gelten.

In der Schweiz sprudelt natürlich der Reichtum in allen Varianten von Gold, Geld und Mist, aber auch die Armut kann sich sehen lassen, vier von hundert Einwohnern beziehen staatliche Sozialleistungen, einer von dreizehn Einwohnern gilt als arm. (44)

Für Anhänger des öffentlichen Verkehrs gilt die Schweiz als Paradies, Eisenbahn und Postauto werden nicht nur wie Gottheiten verehrt, durch ihre Benützung werden die Passagiere selbst zu Gottheiten.

Das letzte Kapitel widmet sich sinnigerweise dem „Notausgang aus dem Paradies“ (126). Dabei sind die häufigsten Suizidarten: 28 % Erhängen / 23 % Erschießen / 14 % Vergiften / 14 % Stürzen / 10% Überfahrenlassen. Die Schweiz hat ein liberales Recht auf Sterbehilfe. Das Verhältnis Suizid zu Sterbehilfe ist 4:1.

Wir in Innsbruck haben ein inniges Verhältnis zur Schweiz, alle zwei Stunden fährt ein Railjet dorthin. Wir erklären uns das mit unserer eigentümlichen Weltanschauung: für Abtreibungen müssen wir in den Osten, für Sterbehilfe in den Westen. Dabei denken wir fast schon schweizerisch.

Susann Sitzler, Total alles über die Schweiz. / The Complete Switzerland. Infografiken von no.parking. Deutsch, englisch.
Bozen: folio 2015, 128 Seiten. 21,10 €, ISBN 978-3-85256-673-3

 

Weiterführende Links:
Folio Verlag: Susann Sitzler, Total alles über die Schweiz
Wikipedia: Susann Sitzler

 

Helmuth Schönauer, 16-10-2015

Bibliographie

AutorIn

Susann Sitzler

Buchtitel

Total alles über die Schweiz. / The Complete Switzerland

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Susann Sitzler

Seitenzahl

128

Preis in EUR

21,10

ISBN

978-3-85256-673-3

Kurzbiographie AutorIn

Susann Sitzler, geb. 1970 in Basel, lebt in Berlin.