Joke van Leeuwen, Augenblick mal …

„Wir sehen uns jeden Tag in der Welt um, aber nicht alles, was es zu sehen gibt, nehmen wir wahr. Das ist auch gut so, denn all die vielen Bilder würden unseren Kopf sprengen.“ (9)

„Augenblick mal. Was wir sehen, wenn wir sehen und warum“ ist sowohl eine aufregende Abenteuerreise in die Welt der Formen, Figuren und Farben, als auch in die Welt der Optik und die Welt des menschlichen Lebens und Empfindens. Was wir sehen können hängt nämlich nicht nur davon ab, inwieweit unser Auge Bilder aufnehmen kann, sondern auch, wie wir das Gesehene in unserem Denken verarbeiten und interpretieren.

Gleich in den ersten Abschnitten finden wir eine Reihe von Beispielen an Zeichnungen und Bildern, die wir allein durch unterschiedliche Bildunterschriften verschiedenen wahrnehmen. Auch optische Täuschungen zeigen, wie unser Gehirn sofort versucht, die jeweiligen Bilder zu ergänzen, einzuordnen und ihnen einen Sinn zu geben. So haben wir beispielsweise keine Probleme damit, wenn bei Zeichnungen Farben weglassen oder Figuren in Cartoons reduziert dargestellt werden. Auch lassen sich durch wenige Linien selbst Gerüche oder Bewegungen und selbst Gefühle sichtbar machen.

Uhren auf Werbefotos stehen fast immer auf zehn nach zehn. Wenn man sich über die Zeiger hinweg Hilfslinien denkt, die wie Pfeile auf die Ziffern weisen, sieht das bei einer Uhr, die zehn nach zehn anzeigt, wie zwei jubelnd hochgerissene Arme aus. (26)

Ein anderer Abschnitt beschäftigt sich mit den Farben, ihrem physikalischen Aufbau, ihrer Herstellung und ihrer Wahrnehmung im Auge. Er zeigt aber auch den Einfluss von Farben auf unser Empfinden und wie unterschiedlich Farben im Verhältnis zueinander wahrgenommen werden. So erscheint das Blau eines Kreises vor einem gelben Hintergrund viel dunkler als vor einem schwarzen Hintergrund.

Anhand zahlreicher Beispiele erleben wir die Macht der Symbole, mit denen über alle Sprachgrenzen hinweg, Inhalte vermittelt werden können, wie z.B. den Piktogrammen „Männer“ und „Frauen“ für Toiletten. Manchmal kann sich aber auch die Wahrnehmung von Zeichen verändern wie z.B. das Hackenkreuz, das ursprünglich ein hinduistisches Zeichen war, das „Glücksbringer“ bedeutet. Durch die Verwendung des Zeichens durch die Nazis, verbinden wir mit diesem Zeichen nur noch Hass, Leid und Krieg.

Auf diese Weise zeigt und Joke van Leeuwen ein breite Palette an interessanten Erscheinungen aus der Welt des Sehens, wie z.B. die wichtige Rolle, die dem Einfall des Lichts in der Kunst zukommt oder die Bedeutung der Perspektive und wie sich diese bewusst einsetzen lässt, um bestimmte Dinge groß und klein erscheinen zu lassen und vieles mehr.

Joke van Leeuwen gelingt es in ihrem Sachbuch geschickt Sachwissen mit Anstößen zum Nachdenken über die eigenen Wahrnehmungen zu verknüpfen. Durch zahlreiche historische Rückblicke sowie physiognomische und physikalische Einblicke erkennen wir, dass das, was wir sehen und wie wir es sehen, nicht eine Fähigkeit eines individuellen Augenblicks darstellt, sondern tief in unsere physisches und psychische Geschichte als Mensch eingebettet ist.

Ein unterhaltsames, spannendes und überaus informatives Sachbuch, das nicht nur junge Leserinnen und Leser zu begeistern vermag.

Joke van Leeuwen, Augenblick mal. Was wir sehen, wenn wir sehen, und warum, durchg. ill., übers. v. Hanni Ehlers [Orig. Titel: Een halve hod heel denken. Een boek over kijken], ab 10 Jahren
Hildesheim: Gerstenberg-Verlag 2012, 128 Seiten, 15,40 €, ISBN 978-3-8369-5347-4

 

Weiterführender Link:
Gerstenberg-Verlag: Joke van Leeuwen, Augenblick mal. Was wir sehen, wenn wir sehen, und warum

 

Andreas Markt-Huter, 24-01-2013

Bibliographie

AutorIn

Joke van Leeuwen

Buchtitel

Augenblick mal. Was wir sehen, wenn wir sehen, und warum

Originaltitel

Een halve hod heel denken. Een boek over kijken

Erscheinungsort

Hildesheim

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Gerstenberg-Verlag

Übersetzung

Hanni Ehlers

Seitenzahl

128

Preis in EUR

15,40

ISBN

978-3-8369-5347-4

Lesealter

Altersangabe Verlag

10

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Joke van Leeuwen wurde in Den Haag geboren und studierte Illustration und Geschichte in Antwerpen und Brüssel. Seit Ende der siebziger Jahre schreibt sie für Kinder, seit den Neunzigern auch für Erwachsene. Ihre Bücher wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.