Martine Leavitt, My Book of Life by Angel

„Ich sagte, es muss auch möglich sein, dass etwas traurig ausgeht, sonst könnte es so etwas wie glückliche Enden auch nicht geben. Ein glücklicher Ausgang ist nur deshalb glücklich, weil er auch unglücklich ausgehen könnte. Und wir beide enden vielleicht traurig.“ (204)

Nach dem Tod ihrer Mutter bricht für die 16-jährige Angel eine Welt zusammen. Ihr Vater leidet unter dem Verlust seiner Frau und Angel verliert zunehmen ihren Halt, beginnt Schuhe zu stehlen und gerät mit dem Gesetz in Konflikt. Als sie vom Zuhälter Call beim Stehlen erwischt wird, gerät sie in einen Teufelskreis aus Drogensucht und Prostitution.

Anfangs glaubt Angel noch an die große Liebe und die Drogen helfen ihr dabei, den Verlust ihrer Mutter zu vergessen. Bald aber bringt sie Call dazu, zunächst mit seinen Freunden zu schlafen und schließlich als Prostituierte auf dem Straßenstrich für ihn anzuschaffen. Er droht Angel damit, ihrem kleinen Bruder Jeremy etwas anzutun, sollte sie sich nicht seinen Wünschen fügen. Als ihrer Freundin Serena, die in ihr einen Engel gesehen hat, verschwindet, wird zunehmend klar, dass auch sie Opfer eines Serienmörders geworden sein dürfte, der die Prostituierten in Angst und Schrecken hielt.

Angel versucht von den Drogen wegzukommen und startet einen Entzug, der sie rasch an ihre körperlichen Grenzen stoßen lässt, während Call sie ihn Abhängigkeit zu halten versucht. Sein großes Ziel ist es, gemeinsam mit seinen Zuhälterfreunden, der Prostitution einen gesellschaftlichen Anstrich geben will. Angel leidet unter ihrem Drogenentzug und ihrer hoffnungslosen Lagen und beginnt ein Tagebuch zu führen, dem sie den Titel „My Book of Life by Angel“ gibt, in dem sie ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen niederschreibt.

Als Call eines Tages mit der elfjährigen Melli nach Hause kommt, ist klar, dass er vor hat das Waisenkind auf den lukrativen Babystrich zu schicken. Angel stellt sich schützend vor das junge Mädchen und verspricht doppelt so viel anzuschaffen, wenn dafür Melli in Ruhe gelassen wird. Aber Angel kann Melli nicht auf Dauer beschützen und so schmiedet sie einen riskanten Plan, um Call vor Melli fernzuhalten.

Martine Leavitt lässt Angel ihr Leben in Form eines Tagebuchs wie ein Gedicht erzählen. Trotz der mitunter sprunghaften Erzählungen entsteht immer mehr ein klares Bild ihres Lebens und Denkens. Die Leserinnen und Leser erleben das entwürdigende Verhalten der Freier mit, die sich nie für den Menschen und das Leiden hinter ihr interessieren und deren Mitgefühl nicht den Bruchteil dessen ausmacht, was sie selbst für Melli zu empfinden in der Lage ist.

„My Book of Life by Angel“ ist kein leicht zu verdauender Stoff, der in die Abgründe unsere Gesellschaft blicken lässt. Vor allem der Kontrast der überaus poetischen Sprache mit dem Gegenstand der Aussage vermag eine Stimmung jenseits des Entsetzens und Grauens zu schaffen, die einen klaren Blick auf die Würde des Menschen, jenseits der Schleier des Mitleids und der Abscheu, zulässt. Ein überaus empfehlens- und lesenswertes Buch, das jugendliche Leserinnen und Leser sprachlich und thematisch herausfordert.

Martine Leavitt, My Book of Life by Angel. Übers. v. Clara Drechsler / Harald Hellmann, ab 14 Jahren
Stuttgart: Thienemann Verlag 2014, 256 Seiten, 15,50 €, ISBN 978-3-522-20189-6

 

Weiterführende Links:
Thienemann Verlag: Martine Leavitt, My Book of Life by Angel
Wikipedia: Martine Leavitt

 

Andreas Markt-Huter, 23-06-2015

Bibliographie

AutorIn

Martine Leavitt

Buchtitel

My Book of Life by Angel

Erscheinungsort

Stuttgart

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Thienemann Verlag

Übersetzung

Clara Drechsler / Harald Hellmann

Seitenzahl

256

Preis in EUR

15,50

ISBN

978-3-522-20189-6

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Martine Leavitt wurde in Taber, Kanada geboren. Ihre Jugendbücher wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. war sie im Finale des „National Book Award“. Sie hat sieben Kinder und lebt mit ihrem Ehemann in Alberta, Kanada.