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clemens schittko, alles gutLiteratur spielt ähnlich wie Mathematik auf verschiedenen Ebenen, die über Ableitungen und Hyperlinks miteinander in Verbindung stehen. In der einfachsten Literaturform gibt etwas vor, ein Sachverhalt zu sein, der mit Worten in literarische Wirklichkeit versetzt werden kann.

Für einen Schriftsteller ist diese einfache Welt bereits eine Hinterwelt, denn alles, was er erlebt, ist Teil des Literaturbetriebs, solange er sich darin als Schriftsteller gebärdet.

Clemens Schittko kümmert sich mit seinem Werkstattbuch „alles gut“ um diesen Untergrund, dem er ein Thesengedicht widmet: „das Hauptproblem des Untergrunds // da ist diese Ablehnung, / die man dem sogenannten / Mainstream entgegenbringt / und für die man gleichzeitig / von diesem Mainstream / anerkannt werden möchte“ (139)

ilse krüger, das rotzmenschUmgangssprachlich gilt schon die Bezeichnung „Das Mensch“ als ziemlich abwertend, die Steigerung in „Das Rotzmensch“ kann als Inbegriff für Verachtung betrachtet werden.

Ilse Krüger stellt ihre autobiographische Darstellung vom Heranwachsen in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter den alles vernichtenden Fluch „Rotzmensch“. Diesen Ausdruck verwendet die Oma der Heldin bei jeder Gelegenheit, um das heranwachsende Kind zu demütigen. Von diesem wird sie mit der vielsagenden Abkürzung „O“ bezeichnet, was vermutlich eher auf Oasch hindeutet, als auf die Marquise von O., obwohl im Roman alle ziemlich belesen sind und sich fallweise gepflegt ausdrücken.

edgar hättich, mondsichelbootNichts ist so groß wie ein Wort, das aus einem weiten Bild heraus verdichtet worden ist. Edgar Hättich nimmt aus den Nächten eines langen Lebens jenen Augenblick ins Auge, wenn für einen kurzen Augenblick der Mond andeutet, dass er seine Überfahrt durch die Nacht beginnen wird. „Mondsichelboot“: Für das lyrische Ich wird es Zeit, die Gedichte an jenen Fensterflügeln anzulehnen, die die Kühle regeln während des Schlafs.

„im zeichen untergehenden lichts überm kogel / erwacht meine lebenslust / im blau die goldene sichel / wird bald dein boot / gondoliere mond / lass mich einsteigen / führ mich hinaus ins himmelmeer“ (35) Diese Gelassenheit ist der Auswuchs einer langen Gedankenkette, die sich vielleicht schon über Jahrzehnte hinzieht. In die poetische Schnur sind ab ab und zu größere Fügungen eingelagert, die wie Bojen die Orientierung erleichtern, wenn das Mondsichelboot unterwegs ist.

ulrichc schlotmann_vivat vivat hoher priesterDen dauerhaftesten Eindruck erwecken meist jene Bücher, die beim ersten Durchblättern als Anstrengung empfunden werden. Der erste Eindruck, nämlich – fett, schwer, barock und schelmisch verzweigt – bleibt ein Leben lang, auch wenn sich später in der Lektüre zunehmend konkret fixierter Sinn einstellt.

Ulrich Schlotmann legt jedenfalls ein fettes Buch vor, wie das in der Rezeptionsästhetik gerne genannt wird. Schon im ersten Satz ist alles klar, was ja kein Wunder ist, es gibt nämlich nur einen Satz, welcher sich absatzlos auf fast dreihundert Seiten erstreckt. Am hinteren Cover wird dieses Textgebilde als „Wort- und Satzprozession“ empfohlen.

esther bockwyt, woke„Der zentral vorgebrachte Anspruch der Bewegung, Diskriminierung und Unterdrückung von bestimmten Gruppen abbauen zu wollen, macht Wokeness auf den ersten Blick unangreifbar und attraktiv. Ihre Appelle nach Gerechtigkeit, Diversität oder Antirassismus sind positiv besetzt. Das macht ihr destruktives Potenzial viel schwieriger zu erkennen als das anderer radikalisierter Orientierungen.“ (S. 9)

Die sogenannte „Woke-Bewegung“ hat sich von ihrem Schwerpunkt an den Universitäten immer mehr in die breite Öffentlichkeit bewegt. Welche Theorien, Inhalte und Forderungen sich unter dem breiten Label „Woke“ finden lassen, was die psychologischen Hintergründe für die zunehmend aggressiver auftretenden Gruppierungen sind und welche Erklärungen und Hilfen die Psychologie dazu bieten kann, steht im Mittelpunkt des informativen Sachbuchs.

li mollet_späterWährend politische Entscheidungsfragen überall auf der Welt mit ja oder nein beantwortet werden, sagt man in Österreich auf eine Entscheidungsfrage oft: „später“. Bereits Kindern wird dieses Wort beigebracht, wenn sie um etwas betteln. Ein Leben lang beherrscht dieses Wort die Entscheidungsfindung, und selbst wenn in hohem Alter jemand um Sterbeassistenz bittet, wird er auf später verwiesen.

Li Mollet hat mit ihrem Besinnungsbuch über diese Zeitangabe natürlich anderes im Sinn. Bei ihr geht es um „Zeitinstallationen“, die womöglich nicht in der Gegenwart dechiffriert werden können, sondern einen späteren Zeitpunkt der Realisation ins Auge fassen.

jonathan perry, auf der flucht„Lebt mit Frau und Kind in St. Pölten.“ – Diese zu einer Inschrift verdichtete Bio-Zeile beschreibt auch gleich jenen Kosmos, in dem der Gedichtband „Auf der Flucht“ spielt.

Jonathan Perry hat seine Gedichte auf der Drehbank eines St. Pöltener Kammerstückes eingespannt, die einzelnen Texte werden in Drehung versetzt und benehmen sich wie auf der Flucht. Das heißt, sie sind selbst noch nicht am Ziel angekommen, gleichzeitig verändern sie jedoch den Aggregatszustand und werden „flüchtig“, wie man das über Stoffe sagt, die allmählich aus sich selbst verschwinden.

hans platzgumer, großes spielWir feiern die verrücktesten Jubiläen, ohne oft genau zu wissen, welche Katastrophen und Kämpfe da dahinterstecken. Vor genau hundert Jahren, am 1. September 1923, wurde Tokio durch Brand und Erdbeben vernichtet. In einer dieser Erdbebenspalten verschwand auch das bisherige Regierungssystem und führte zu einem brutalen Machtkampf im Schatten des Kaisertums.

Hans Platzgumer greift diesen historisch und geographisch entlegenen Katastrophenfall auf, um durchzuspielen, wie sich Epochen an einer politischen Verwerfungskante reiben und Verwüstung anrichten.

caroline wahl, 22 bahnenManchmal wird der Literatur ein Programm übergestülpt, das ihre Kundschaft zuerst abarbeiten muss, ehe sie sich dem eigentlichen Text zuwenden darf. So sind es oft Literaturpreise, die vorerst in Marketing-Manier den Text zuschütten, ehe er sich verspätet der Leserschaft erschließt.

Gerne gesehen ist Literatur auch als Prüfungsstoff, wenn in sadistischer Anwandlung Prüflinge gequält und für die Literatur verloren gemacht werden. Eine Radikal-Methode, ein unwissendes Publikum mit Literatur zu beträufeln, besteht schließlich in diversen Kommunal-Aktionen, wenn etwa die Bewohner einer Kleinstadt mit einem Gratis-Roman beglückt werden. Auch hier steht das Programm der Stadt vorerst über dem literarischen Text, der als solcher erst freigeschaufelt werden muss.

tom holland, herrschaft„Mein Buch untersucht, wodurch das Christentum so subversiv und revolutionär wurde; wie vollständig es die Grundhaltung der lateinischen Christenheit imprägnierte; und warum in einer westlichen Welt, die häufig ein so kompliziertes Verhältnis zu religiösen Ansprüchen hat, so viele ihrer Instinkte nach wie vor – im Guten wie im Schlechten – durch und durch christlich sind. Kurz: Es geht um die größte Geschichte aller Zeiten.“ (S. 27 f)

Tom Holland geht der überaus interessanten Fragestellung nach, wie eine Religion, deren zentrale Bezugsperson als Verbrecher verurteilt und auf grausamste Weise ums Leben gebracht wurde, eine dermaßen prägende Wirkung auf die Welt entwickeln konnte. Dazu werden die zentralen Strömungen des christlichen Einflusses auf die Entwicklung globaler Wertvorstellungen bis in die Gegenwart nachgezeichnet.