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Die echten Krimis spielen nicht in der lauen Wachau unter Marillen sondern in den zusammen gestampften Soziotopen der Wälder Kalabriens und des Dschungels von Mailand.

Gioaccino Criaco greift die Erzählform eines Soziologen auf, der in Ich-Form quasi eine Feldstudie an sich selbst durchführt. Tatsächlich ist der Plot autobiographisch, wonach die Söhne von kalabrischen Ziegenhirten nach Mailand zum Studieren gehen und später in der Heimat das Land politisch aufzumischen versuchen. Die Figuren, Strategien, Motive und Prozesse sind aus der unmittelbaren Zeitgeschichte entnommen, wie sie sich in den Chronik-Teilen lokaler Zeitungen seit Jahrhunderten darbieten.

Alles, nichts und beides sind radikale Mengenangaben, wo es keinen Nachlass oder Rabatt gibt. Alles, nichts und beides ist eine Überlebensformel, die für alle wesentlichen Themen in Frage kommt: Liebe, Tod, Bleiben, Weggehen.

Amina Abdulkadir nennt die Anwendung ihrer Lebensformel Kürzestgeschichten, denn sie sind das radikalste Narrativ, das es für eine Ausnahmesituation gibt. Diese Geschichten haben oft die Gestalt eines Stachels und werden dem anwesenden Fleisch eingerammt als Mahnmal, Gedächtnisstütze oder Erinnerungs-Pikser.

Hinweise auf künstlerischen Umgang mit Tieren, lassen immer auch heftige Fragen aufkommen: Ist dem Tier auch nichts geschehen, das im Film zu Tode gekommen ist? Ist das Tier auch vegan, das vor der Heldin auf dem Bühnen-Teller liegt? Ist der Sex auch jugendfrei, den der Maler zu Ausstellungszwecken mit einem Tier bewerkstelligen will?

Christian Futscher luchst seine besten Geschichten den Tieren ab, darin gleicht er einem Heiligen, der die Vögel auf den Schultern landen lässt, damit sie vorne singen und hinten das Gewand voll machen. Die besten Pointen liefern angeblich die Erdmännchen, weil ihre Geschichten bodenfest und geerdet sind. Der Untertitel ist quasi eine Warnung, es handelt sich um Texte mit Tieren. Wer Tiere nicht mag, wird auch mit den Tier-Texten nichts anfangen können.

Wenn es mit dem „Schnitzal“ Probleme mehliger, bröseliger oder eiiger Art gibt, wird das in Österreich bald einmal zu einem Problem und kann in eine Tragödie münden.

Harald Darer nennt seinen Roman patriotisch-kühn „Schnitzteltragödie“, dabei gibt es auch Probleme mit dem Leberkäs, den Forellen und den Krusten allgemein. Man ahnt es schon, in diesem Roman hat ein österreichischer Alltagsheld ordentlich zu leiden, bis er gegen Abend hin mit dem Alltag durch ist.

Es gibt Tausende Gründe, einen zeitgenössischen Roman zu lesen, einer könnte sein, dass man herausfinden möchte, wie in einem vom Bürgerkrieg bedrohten europäischen Land die junge Intelligenz tickt und welchen Themen sie sich zuwendet.

Sofia Andruchowytsch gilt als ukrainischer Shooting Star der Literaturszene und hat als Tochter des berühmten Jurij Andruchowytsch vermutlich jede Menge Bonus und Malus auszuhalten. Interessant ist jedenfalls, wovon eine Autorin mitten in einer wild gewordenen Welt schreibt: Vom Leben eines Dienstmädchens im galizischen Stanislau des Jahres 1900!

Der Osten ist nicht nur eine Himmelsrichtung sondern auch ein Lebensgefühl, eine Farbe des Unterbewusstseins oder eine permanente Wetterlage.

Andrzej Stasiuk, der Fachmann für Peripherie, devastierte Ländereien und aufgelassene Soziotope, kümmert sich in seinem historisch-poetischen Roman um jenen vagen Osten, der durch Geschichten plötzlich erzähl- und begreifbar wird. Der Ich-Erzähler erarbeitet sich den Osten in drei „Stoßrichtungen“, wie das Wehrmachtswort für den Nazikrieg im Osten heißt.

Um ein großes Bild zu begreifen, muss man vielleicht einen passenden Roman dazu lesen. Wenn es diesen Roman noch nicht gibt, muss man ihn schreiben.

Friederike Schwab erzählt im Roman „Geburtstag mit Magritte“ von der Heilkraft eines Bildes, das eine komplette Lebensverstörung überwinden hilft. Dabei geht es um zwei künstlerisch ambitionierte Familien in Amsterdam und Wien, die jeweils einen aufgeschlossen rationalen Lebensstil pflegen.

Eine besonders professionelle Form einer Roman-Struktur besteht im Nacherzählen, Umschreiben und persönlichen Infiltrieren eines anerkannten Textes. 1962 ist der Roman „Die Gärten der Finzi Contini“ von Giorgio Bassani erschienen, 1975 kommt die Verfilmung durch Vittorio De Sica.

Buch und Film fesseln Waltraud Mittich sofort und lassen sie ein Leben lang nicht mehr los. Jetzt hat sie eine Figur der Gartenszenerie, nämlich das überlebende jüdische Mädchen Micòl, mit einem anderen Schicksal versehen und sie als kämpfende, selbstbewusste Frau durch das Nachkriegseuropa geschickt.

Scheinbar unverfängliche Themen machen explosionsartig auf und zeigen eine Riesenwunde der Zeitgeschichte, wenn man sie mit vorsichtigem Erzählbesteck serviert.

Michael Krüger hat es im Laufe seines literarischen Wirkens immer wieder zu erzählerischen Tretminen hinan gezogen, in deren Nähe höchste Explosionsgefahr besteht. Eines dieser Kapitel nennt sich deutsche Völkerkunde in Brasilien. Deutsche Ethnologen sind meist in den Dschungel gegangen, um etwas zu vertuschen, und haben bei ihrer Rückkehr in die Zivilisation von erfreulichen Forschungsergebnissen gesprochen.

Viele Kriminalfälle entstehen ja dadurch, dass die Wortwahl oft völlig divergierende Deutungen eines Sachverhaltes zulässt. Machtblind kann heißen, dass jemand wegen seiner Macht blind wird, oder aber, dass jemand gegenüber der Macht blind wird.

Reinhard Kocznar wählt zwar die Form des Kriminalromans, damit alles wenigstens halbwegs eine Ordnung hat, in Wirklichkeit aber beschreibt er das diffuse Treiben rund um mysteriöse Geschäfte, wo alles unsicher ist und nur Wörter wie Knarre oder Kohle Stabilität verheißen. „Er haute ab, als die Knarre sprach.“ (126)