Anna Rottensteiner, Nur ein Wimpernschlag

Die Literatur schafft die Möglichkeit, die Zeit so zu verdichten, dass sie in einem Wimpernschlag untergebracht werden kann. Diese Verdichtung lässt sich auf ein ganzes Leben ausdehnen, so dass in quasi in einem Standbild der Erinnerung alles aufgezeichnet ist.

Anna Rottensteiner führt eine Ich-Erzählerin durch eine scheinbar klaglose Kindheit herauf bis zu jenem Punkt, an dem das Leben abgerundet und seltsam offen ist. In den Stationen Sommer-Kindheit, Sommer-Tourismus und Daseins-Herbst reflektiert die Erzählerin über eine makellos aussortierte Erinnerungsgalerie, in der die Bilder harmonisch ausgestellt sind.

Von der Kindheit bleiben diese Gerüche, die ein Leben lang ein gewisses Ereignis markieren, die Schwester Klara ist eine verlässliche Spielpartnerin, die alle aus dem Häuschen bringt, als sie sich totstellt und als Totes Mädchen im Pool treibt. Manches ist auch in der Kindheit schon tot und abgestellt wie diese Gerätschaften, die auf dem Dachboden für immer abgelegt sind. Dazu passen die Erzählungen der Großmutter und die Briefe, die in Kriegswirren und im Zuge der Option ziemlich hoffnungslos geschrieben worden sind.

Später arbeitet die Heldin im Tourismus und hält diese den Gästen vorgespielte Welt nur aus, weil sie sich in einen Garten flüchten kann, den sie sich in den Zimmerstunden erobert.

Im Schlusskapitel sind die Eltern schon gestorben, die ganze Verwandtschaft hat ihren Platz im Erinnerungsalbum gefunden, die Wohnung bleibt vielleicht als Museum für alle, die in der Erinnerung für einen Wimpernschlag hineinwollen.

Diese fugenlos kompakte Geschichte ist aufgebrochen und unterlegt mit Störungen des Gedankenflusses. Eine gewisse Meta hat sich aus einem fremden Kontinent auf den Weg gemacht, um in Europa zu überleben. Sie ist vielleicht gleich alt wie die Erzählerin, sie ist vielleicht ihr Alter-Ego, sie ist vielleicht die Meta-Ebene, sie ist vielleicht nur eine Erfindung. (172) Jedenfalls relativiert sich alles, wenn es von einem zusätzlichen Erzählpunkt aus betrachtet wird.

In einem fiebrigen Aufruf bittet die Erzählerin ihre Meta, ihr alles zu erzählen, worauf es ankommt, was wichtig ist, was man meiden muss, um nicht ins Unglück zu geraten. Die Wünsche der Meta und die Lebenslust sind ähnlich, aber die Erzählerin merkt, wie üppig, wankelmütig und marottenhaft auch ein halbwegs geglücktes Leben abläuft, wenn man es dem puren Überlebenskampf gegenüberstellt. Und vielleicht tritt die Idylle dann ein, wenn alles Unwesentliche abgeworfen ist.

Letztlich wollen beide nur eines, einen Ort finden, an dem sich Lebenssinn einstellt, wenn man sich zur Ruhe setzt. – Ein berührender Roman über das Herumziehen und Zur- Ruhe-Kommen.

Anna Rottensteiner, Nur ein Wimpernschlag. Roman
Innsbruck: Edition Laurin 2016, 176 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-902866-37-0

 

Weiterführender Link:
Edition Laurin: Anna Rottensteiner, Nur ein Wimpernschlag

 

Helmuth Schönauer, 07-03-2016

Bibliographie

AutorIn

Anna Rottensteiner

Buchtitel

Nur ein Wimpernschlag

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

176

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-902866-37-0

Kurzbiographie AutorIn

Anna Rottensteiner, geb. 1962 in Bozen, lebt in Innsbruck.