Astrid Schönweger u.a., Südtiroler Kräuterfrauen
Wie eine Gesellschaft tickt, kann man oft an ihrem Umgang mit sich selbst erkennen. Wie sorgen sich die Menschen um sich selbst? Welche Hilfsmittel verwenden sie? Wie schätzen sie ihre pflegenden Hände und Köpfe?
In den europäischen Gesellschaften ist mittlerweile der Umgang mit Körper, Krankheit, Gesundheit und Tod völlig professionalisiert und zu einem gigantischen Geschäftszweig geworden. Im Windschatten dieser Heil-Industrie gedeihen freilich auch alte Traditionen, die ihr Wissen aus jahrhundertelanger Erfahrung speisen und allen Apps zum Trotz eine persönliche Sprache und einen individuellen Händedruck entwickeln.
Unter dem Markenzeichen „Südtiroler Kräuterfrauen“ werden achtzehn Biographien vorgestellt, quer über das Land verteilt, in allen Höhenlagen angesiedelt und zum Teil auf verschollenen Kräutern basierend.
Das Wissen dieser Kräuterfrauen ist Jahrhunderte alt, so dass die lebenden Kräuter-Künstlerinnen genau genommen die Spitze eines gigantischen Erfahrungsberges sind. Allen Unternehmungen ist im Porträt ein markanter Sager vorausgestellt, der als Motto den Suchenden auf die Sprünge hilft.
Wenn wir von Kräutern reden, reden wir immer auch von Bäumen und Flechten.
(Franziska Schwienbacher)Jeden Tag mache ich frühmorgens eine Stunde meinen Spaziergang. Das wäre für jeden wichtig.
(Traudl Schwienbacher)Eines Tages stand ich vor der Frage: Kühe oder Kräuter. Die Kräuter gewannen.
(Rita Frener)Heutzutage ist alles da, man kann sich alles leisten, aber eigentlich verhungern wir vor vollen Tellern.
(Hiltraud Erschbamer)
Der Zugang zur Welt der Kräuter ist so mannigfaltig wie diese selbst sich den Suchenden darbieten, schließlich ist gegen alles ein Kraut gewachsen, wenn man es nur sucht.
Die Schwerpunkte dieses Kräuter-Kosmos zeigen sich als Erbe alten Kräuterwissens, als Kräuterfreundschaft oder als Vermittlung zwischen Volksmedizin und Wissenschaft. Die Kräuterfrauen setzen dabei Akzente wie die Samenpflege rarer Sorten, das permanente Umgarnen eines Kräutergartens oder die „Pflege von Geschöpfen, die nicht davonlaufen“.
Ob es sich nun um eine Pflanzenflüsterin oder die Aktivistin einer Umweltgruppe handelt, imposant sind jeweils die Erlebnisse, die zur Auseinandersetzung mit der Kräuterwelt geführt haben. So ist etwa Doris Gruber Weissensteiner einfach aufs Patentamt gegangen, um sich zu erkundigen, was sie darf und was nicht. Seither lässt sie für den Verkauf alles in einem zertifizierten Labor zusammenmischen.
Das Zusammenspiel von Schulmedizin, Gesellschaft und Kräuterwesen ist auch Inhalt der Ausflüge zu Beginn des Handbuches. Hier wird ein kurzer Abriss der Geschichte der Frauen als Heilerinnen erzählt, ein höchst politischer Zugang, der einem die Augen für die Gegenwart öffnet. Auch hier gilt die Faustregel für alle kulturellen Tätigkeiten: Die Welt ist oft ganz anders, als es uns die Weltinhaber erzählen!
Glossar, Literatur und Adressen sind für dieses Handbuch selbstverständlich.
Die Südtiroler Kräuterfrauen bieten einen interessanten Einblick in eine hochsensible Welt, die sich um unsere Gesundheit und Lebens-Lust kümmert, wenn wir uns nur selbst dazu den Anstoß verpassen.
Gelungene Lebensporträts, verschmitzte Erfahrungen und handfeste Rezepte bringen alle Interessierte in eine frische Richtung. Wer den berühmten Kick sucht, der diese neue Lebensqualität ermöglicht, soll kurz beim Öffnen des Buches hinhören: Es macht klick und eine neue Welt geht auf!
Astrid Schönweger / Irene Hager / Alice Hönigschmid, Südtiroler Kräuterfrauen. Ihr Leben, ihr Heilwissen, ihre Rezepte. Mit zahlreichen Farbfotografien.
Innsbruck: Löwenzahn 2014, 256 Seiten, EUR 24,95. ISBN 978-3-7066-2536-4
Weiterführender Link:
Löwenzahn Verlag: Astrid Schönweger / Irene Hager / Alice Hönigschmid, Südtiroler Kräuterfrauen. Ihr Leben, ihr Heilwissen, ihre Rezepte
Helmuth Schönauer, 02-04-2014